Das Buch der Schatten: Roman (German Edition)
Person in der Nähe des Lichtschalters aufhalten mußte. Und das schloß die andere Möglichkeit aus. Auch sagte er sich, daß er sowenig gesehen werden konnte, wie er selbst zu sehen vermochte. Also gab es für Goodman nur noch das eine. Zum Angriff übergehen. Kurz atmete er mehrmals tief durch. Mit zwei Sätzen stand er neben dem Lichtschalter. Da war ihm, als wich jemand zurück. Rasch drehte er den Schalter. Der kurze Flur wurde erhellt. Gleichzeitig wurde Goodman mit einem Gegenstand ins Gesicht geschlagen. Er taumelte, faßte sich auf die getroffene Stelle. Ein zweiter Hieb traf ihn auf die Stirn. Ihm wurde schwarz vor Augen. Seine Beine versagten. Bewußtlos fiel Goodman gegen die Wand, rutschte langsam zu Boden. Schwester Maria starrte entsetzt auf den reglosen Körper. In der Hand hielt sie einen Schuh, mit dessen Absatz sie auf Goodman eingeschlagen hatte.
„Mutter Maria Gottes – Sie?“, entfuhr es ihr. Sie bekreuzigte sich. Einige Male hintereinander. Betroffen über ihre Tat drückte sie sich an Goodman vorbei. Sie sah ihn nicht dabei an. Unentwegt musterte sie nur die Tür, die sie vergebens zu öffnen versucht hatte. Plötzlich kam ihr ein Gedanke. Sie wußte, daß Goodman für sämtliche Räume Zweitschlüssel besaß. Eilig hastete sie die Treppe hinunter. Vorsichtig öffnete sie die Tür zu Goodmans Zimmer. Ohne Zögern trat sie ein und verschloß hinter sich den Raum. Erst dann betätigte sie den Lichtschalter. Augenblicklich begab sie sich zu seinem Schreibtisch. Erschrocken fuhr sie zurück. Der Foliant lag noch auf dem Pult. Die letzte Seite aufgeschlagen. Sie wollte es lesen, doch die Zeit drängte. Goodman konnte jeden Augenblick wieder zu sich kommen. Fiebrig durchsuchte sie die Schubladen. Wider Erwarten hatte sie schon bei der zweiten Lade Erfolg. Dort lag das Gesuchte. Ein großer Ring, mit unzähligen Schlüsseln daran. Sie schnappte ihn und ließ den Ring in ihre Seitentasche gleiten. Kurz warf sie noch einen Blick auf das Buch, das sie an sich nehmen wollte, sobald sie Richmons Dachstube durchsucht hatte. Leise verließ sie das Rektorat. Dabei vergaß sie in ihrer Hektik das Licht wieder auszuschalten. Nachdem sie nur langsam zum Treppenaufstieg geschlichen war, eilte sie um so schneller die Stufen hinauf. Vor Richmons Tür angelangt, zog sie den Schlüsselbund hervor, warf aber noch einen Blick auf Goodman, der immer noch regungslos auf dem Fußboden lag. Nacheinander steckte sie die Schlüssel in das Schloß. Keiner wollte so richtig passen. Mehrere Minuten vergingen, ohne Erfolg. Schon dachte sie, daß es für diesen Raum gar keinen zweiten Schlüssel gab, da machte es auf einmal einen Schnapper. Die Tür war offen. Erleichtert atmete sie auf. Nochmals musterte sie Goodman, bevor sie in die Kammer trat.
Zur selben Zeit betrat Rouven das Lehrerhaus. Von weitem hatte er Licht im Rektorat gesehen. Die Vorhänge waren nicht zusammengezogen, dadurch hatte er für einen Moment eindeutig Schwester Maria erkennen können. Rouven begab sich direkt auf das Rektorat zu, das die Schwester eben erst verlassen hatte. Entschlossen drückte Rouven die Klinke hinunter. Er hatte Schwester Maria erwartet, doch der Raum war leer. Dennoch trat er vollends ein. Aufmerksam ließ er seinen Blick umherschweifen. Auf dem Schreibtisch blieb er haften. Fassungslos starrte er auf den Foliant. Rouven hatte gesehen, wie er in den unterirdischen Gang gezogen wurde. Nun lag er da, auf diesem Tisch, auf dem Schreibpult des Internatleiters. Geöffnet, als sei erst vor wenigen Minuten darin gelesen worden. Nur stockend begab er sich darauf zu. Die Zimmertür ließ er angelehnt. Seine gesamte Aufmerksamkeit galt nur noch der Chronik. Zaghaft setzte er sich in den Sessel. Angespannt las er die letzte Seite. Wort für Wort. Immer wieder, wie Goodman es getan hatte. Nachdenklich blickte er nach einigen Minuten auf, ließ seine Blicke belanglos über die Tischplatte schweifen. Da fiel sein Blick auf das Kuvert, das Goodman liegen gelassen hatte. Es war nicht Rouvens Art, in fremden Sachen zu schnüffeln, doch, wie dazu gezwungen, nahm er das Kuvert zu sich. Bedächtig drehte er es um. Schlagartig versetzte es ihm einen Stich in die Magengegend. Als wolle er sich verkrampfen, als Rouven seine Anschrift darauf geschrieben las. Zitternd nahm er den Inhalt heraus. Ein Brief von seinem Vater, an ihn gerichtet, von Mr. Goodman unterschlagen. Rouvens Augen füllten sich mit Tränen. Er hätte schreien mögen vor Schmerz. Vor
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