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Das Buch der Sünden

Das Buch der Sünden

Titel: Das Buch der Sünden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Axel S. Meyer
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irgendwann.»
    Helgi schaffte es, Ingvar kurz in die Augen zu schauen. «Danke.» Seine Stimme war nur ein heiseres Krächzen. Er räusperte sich, bevor er weitersprechen konnte. «Aber das Problem ist nicht das Geld allein. Es gibt kein Eisen mehr zu kaufen. Weder in Haithabu noch in Sliesthorp, noch irgendwo anders. Die Dänen wollen im nächsten Jahr gegen England Krieg führen, und der verrückte Hovi will gegen Rom ziehen. Die Kriegsherren haben alles Eisen aufgekauft.»
    Ingvar setzte sich wieder vor das Spielbrett. Er schlug die Beine übereinander, stützte die Ellenbogen auf die Knie und legte sein Kinn auf die gefalteten Hände. So saß er eine Weile mit geschlossenen Augen da.
    Helgi betrachtete ihn. Er fand, dass Ingvar noch immer das lustige Knabengesicht besaß, das ihm früher so vertraut gewesen war. Die kleinen braunen Flecken auf Nase und Wangen, die Sommersprossen, traten wie jeden Sommerdeutlich hervor. Ingvars Haut war blass, seine Lippen schmal, und das rote Haar stand struppig von seinem Kopf ab. Ingvar würde wohl immer aussehen wie ein siebenjähriger Junge.
    Als Ingvar die Augen wieder öffnete, schaute Helgi rasch woanders hin.
    Ein vages Lächeln umspielte Ingvars Lippen. Er sagte: «Mir ist etwas eingefallen.»
    Sein Blick senkte sich auf das Spielfeld, und er begann, die Figuren neu aufzustellen. Als alle an ihren Plätzen standen, schaute er wieder hoch. «Wenn du mich ein zweites Mal schlagen kannst, erzähle ich es dir.»
    «Was denn?»
    Aus dem Lächeln wurde ein breites Grinsen. «Nein. Erst spielen wir. Ich glaube, dass du vorhin einfach nur Glück hattest. Beweis mir das Gegenteil – und ich verrate dir, wo es noch Eisenbarren gibt.»
    Helgi stöhnte. Da war er wieder, der alte Ingvar, der das Leben nicht richtig ernst nahm. Der immer zu einem Spaß aufgelegt war.
    Und der ein sehr guter Taflspieler war, wahrscheinlich der beste.

39.
    Die Heiden feierten auf der Hochburg.
    Bei Einbruch der Dunkelheit loderten die Birkenholzfeuer auf. Hunderte Menschen tranken und tanzten, Met und Bier floss in Strömen. Es dauerte nicht lange, bis die ersten Betrunkenen zu Boden sanken. Die Stimmung war gereizt. Einige Männer begannen zu streiten. Fäuste flogen,Lippen bluteten, und Nasenbeine brachen. Der Hunger hatte die Menschen so sehr ausgezehrt und aggressiv gemacht, dass sich stille Männer aufführten wie rasende Eber.
    Odo beobachtete das Treiben von seinem Versteck zwischen den Bäumen aus. Er hatte sich in den schwarzen Umhang gehüllt und verschmolz mit dem nachtdunklen Wald. Neben ihm lag die Tasche, in der sich die Kiste befand.
    Er entdeckte den Hauptmann Egil Blóðsimlir und die Berserker Draupnir und Hrungnir am Rande der Festwiese, wo sie Wein tranken und mit einigen anderen Kriegern herumstanden. Egil trug ein glitzerndes Kettenhemd. Die Berserker zeigten mit freien Oberkörpern ihre Muskeln. Scheinbar gelangweilt ließen sie die prügelnde Meute gewähren. Nach einer Weile schickte Egil einige Krieger aus, die die Streithähne trennten. Bald darauf herrschte wieder Ruhe. Egil trat vor eines der Feuer, hob die Arme und kündigte den Auftritt des Jarls an.
    Hovi kam aus der Dunkelheit hervor, gefolgt von seinen drei Weibern. Der Jarl kletterte auf seinen hölzernen Thron, sein Gesicht war wie immer hinter der Silbermaske verborgen. Auf der Festwiese war Grabesstille eingekehrt. Niemand wagte es, einen Ton von sich zu geben. Alle Augen waren auf den maskierten Herrscher gerichtet.
    Die brennenden Birkenhölzer knisterten und knackten. Flackernde Schatten huschten über die Gesichter.
    Egil hob zu seiner Rede an und pries den Jarl. «Ich erinnere euch an eure Pflichten», rief der Blóðsimlir dem Volk zu. «Ihr habt eurem Führer auf Gedeih und Verderb zu folgen, wenn er es von euch verlangt. Er ist der Einzige, der euch von den Qualen des Hungers erlösen kann.Er hält Zwiesprache mit den Göttern! Und er wird dafür sorgen, dass euer Leid bald ein Ende haben wird.»
    Als Egil seinen Blick über das Volk schweifen ließ, schimmerte die Narbe in seinem Gesicht rötlich.
    Da löste sich plötzlich ein junger Mann aus den Reihen der Zuhörer und rief: «Großer Hovi – wir brauchen den Regen sofort, nicht erst in einigen Tagen. Das Getreide verdorrt, das Vieh und unsere Kinder sterben.»
    Anerkennendes Gemurmel über den Mut des Mannes erhob sich in der Menge. «Thor soll Regen bringen», riefen andere Männer.
    Egil nickte den Berserkern zu, die die Streitäxte erhoben und

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