Das Buch der Sünden
ihre Muskeln spielen ließen. Das Gemurmel ebbte ab.
Egil rief: «Die Hungersnot ist eine Strafe der Götter. Es ist Odin, der zornig ist – auf euch!»
Der Bluttrinker ließ seine Worte eine Weile wirken, bevor er fortfuhr: «Odin zürnt, weil ihr eurem Führer die Gefolgschaft verweigert. Zu wenig Männer haben sich ihm angeschlossen. Zu wenige sind bereit, auf dem Schlachtfeld zu Rom den Tod eines Helden zu sterben und an der Seite Odins einen Platz in Walhall einzunehmen. Männer Haithabus! Die Schmach muss getilgt werden. Mit heißem Herzen sollt ihr eurem Führer folgen. Der Krieg wird kommen – er ist so unausweichlich wie die Hitze im Sommer und die Kälte im Winter. Folgt Hovi! Folgt dem Jarl! Wir beschreiten den Weg zum Sieg, zu Reichtum und Ruhm. Wir ebnen den Weg nach Walhall. Glaubt an Hovi, euren Führer! Glaubt an Odin!»
Egils Miene war verschlossen. «Odin erwartet von euch eine Leistung, die alles Gewesene in den Schatten stellt. Wir wollen das Zeichen des Allvaters erkennen. Wir wollenuns seiner Forderung nicht versagen. Wir wollen dem Gott, wir wollen Hovi folgen! Denn wie stolz wir auf ihn sind, so stolz soll unser Gott und Herrscher auf uns sein können.»
Atemlose Stille.
«Noch am heutigen Abend werdet ihr euch uns anschließen», fuhr Blóðsimlir fort. «Ihr werdet den feierlichen Schwur auf Hovi leisten. Eure Hände werden seine Waffen führen. Und in sieben Tagen – ja, in sieben Tagen soll nach dem Wettbewerb der Schmiede ein Gewitter über das Land hereinbrechen. Der Regen wird kommen! Heilsa Hovi! Heilsa Odin!»
Die Krieger stimmten ein: «Heilsa Hovi! Heilsa Odin!»
Nach und nach erhoben immer mehr Männer ihre Stimme. Sie priesen ihren Gott Odin und ihren Herrscher Hovi. Bald war die ganze Hochburg vom Gebrüll der aufgestachelten Menge erfüllt.
Egil drehte sich zu Hovis Thron um. Beinahe unmerklich hob der Jarl die rechte Hand von der Lehne. Die Finger waren mit kostbaren, glitzernden Ringen besetzt. Die Geste war das Lob für Egil, und der Hofðingi bedankte sich bei seinem Führer, indem er sich flüchtig verbeugte.
Dann wandte er sich wieder der tobenden Menge zu. Jetzt schleppten Krieger in großen Schüsseln und Schalen bergeweise Fleisch, Wurst, Käse und Brot herbei. Neue Wein- und Bierfässer wurden angestochen. Die Leute stürzten sich auf Essen und Trinken, füllten die leeren Mägen mit den Gaben, die der Herrscher Hovi ihnen schenkte.
Dann endlich erhielt Odo seine Gelegenheit.
Draupnir entfernte sich von den anderen.
Er schlug einen weiten Bogen um die feiernde Menge. Sein Ziel war die blonde Mardöll, die sich auf der anderen Seite der Wiese aufhielt, möglichst weit vom Berserker entfernt. Erst als es zu spät war, bemerkte sie Draupnir. Mit festem Griff packte er sie im Nacken und zerrte sie in den Wald.
Odo lief los. So schnell er konnte, hastete er durch Gestrüpp und Unterholz und kletterte über umgestürzte Bäume hinweg oder unter ihnen hindurch.
Auf dem Weg nach Haithabu, der unterhalb der Hochburg entlangführte, entdeckte Odo das ungleiche Paar wieder. Draupnir hatte Mardöll die Kleider vom Leib gerissen und sie vor sich auf die Knie gezwungen. Ihre blasse Haut schimmerte im Mondlicht. Er hatte sie an den Haaren gepackt und ließ sich von ihr befriedigen, wobei ihr Kopf ruckartige Bewegungen vor seinem entblößten Unterleib vollführte. Draupnir stöhnte, Schweißperlen glitzerten auf seiner Glatze.
Odo holte die Kiste hervor und nahm das Messer heraus. Mit vorgehaltener Klinge schlich er sich von hinten an. Er musste den Berserker an der Kehle erwischen. Ein Schnitt, ein rascher, tiefer Schnitt. Der Hüne durfte keine Gelegenheit zur Gegenwehr bekommen, sonst würde er Odo zerreißen.
Noch vier Schritte, noch drei, zwei …
Plötzlich zerfetzte ein Schrei die Nacht. Draupnir stieß Mardöll von sich. Er brüllte und fluchte. Sie hatte ihn gebissen, hatte ihre Zähne in sein hartes Glied gegraben. Draupnir schaute fassungslos an seinem Körper herunter. Blut spritzte auf seine Schenkel.
Dem Mädchen stand die Todesangst ins Gesicht geschrieben.Dennoch musste sie alles riskieren, um sich zu retten. Sie rollte sich von Draupnir weg, sprang auf und rannte davon.
Odo befand sich nur eine Armeslänge hinter dem Berserker. Aber er hatte zu lange gezögert. Draupnir stieß ein Wutgeheul aus und setzte dem Mädchen nach. Dann verschluckte auch ihn die Nacht.
Odo betete, dass der Allmächtiger ihm den Weg weisen möge, und nahm die
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