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Das Buch der Sünden

Das Buch der Sünden

Titel: Das Buch der Sünden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Axel S. Meyer
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herausquellende Blut ließ er in eine kleine Holzschüssel tropfen.
    Ansgar atmete heftig. «Das ist   … das ist schwarze Magie.»
    «Nenn es, wie du willst, Graukutte», erwiderte Damek, ohne aufzuschauen. «Für uns Ranen bedeutet die
čáry,
die Zauberei, so viel wie für euch Christen eure heiligen Bücher. Ich werde nun die Untoten anrufen, die Wiedergänger. Sie sollen uns einen Rat geben, damit wir erfahren, was wir tun können.»
    «Blasphemie!», hauchte Ansgar entsetzt und zog sich in eine dunkle Ecke der Hütte zurück.
    Dessen ungeachtet streute Damek ein wenig Stroh und Reisig über das Blut in der Schüssel, tat trockenes Gewürzkraut und den Bärenzahn hinzu und entzündete das Stroh. Sofort breitete sich beißender Qualm in der Hütte aus.
    Während Damek begann, mit geschlossenen Augen geheimnisvolle Worte zu murmeln, hielt Ansgar das Buch in die Höhe und betete in seiner fränkischen Heimatsprache: «
Gilaubiu in got fater almahtîgon, scepphion himiles enti erda
… – Ich glaube an Gott, den Vater, den Allmächtigen, den Schöpfer des Himmels und der Erde   …»
    Helgi verlor allmählich die Geduld. Er zweifelte stark daran, dass die Ranengötzen oder der Christengott ihnen aus der misslichen Lage helfen würden. Helgi war ein Mann der Tat, und er wusste, dass Odin genau dies von ihm erwartete: handeln!
    «…  
endi in heilenton Christ, suno sînan einagon, truhtîn unseran
…», rief Ansgar. «…   und an den Heiland Christus, seinen einzigen Sohn, unsern Herrn   …»
    Auch Dameks Stimme wurde lauter, um die Worte des Missionars zu übertönen, der nun schon beinahe brüllte: «
Fleisges arstantnissi, liib eûuîgan   …
– Fleisches Auferstehung und ewiges Leben   …»
    Da platzte es aus Helgi heraus: «Schweigt, verdammt nochmal!»
    Damek und Ansgar verstummten und wandten sich ihm zu.
    «Ich weiß, was ich zu tun habe», rief er, «und dafür brauche ich eure Götter nicht.»
    «Ach ja? Dann mal raus mit der Sprache, du schlauer Däne», entgegnete Damek und schüttete den Inhalt aus der Schale über die Glut des Kochfeuers.
    Helgi richtete sich zu voller Größe auf, wobei sein Kopf beinahe bis an die Querbalken des Daches reichte.
    «Ich werde Tetĕslav töten!»
    Damek und Ansgar starrten ihn entgeistert an. Für einen Moment beherrschte eine drückende Stille die Hütte. Dann begann Damek zu lachen; zunächst leise, dann immer lauter, bis ihm schließlich die Tränen über die Wangen liefen.
    «Er will den Wojwoden umbringen», rief er japsend. «Was glaubst du eigentlich, wer du bist, Däne? Tetĕslav hat fast drei Dutzend Krieger bei sich. Außerdem wird Arkona von Hunderten bewaffneter Soldaten bewacht, und die sind ganz versessen darauf, einen Dänen zu töten   …»
    Helgi unterbrach ihn: «Lieber sterbe ich im Kampf, als dass ich tatenlos zusehe, wie Tetĕslav seine Köter auf mich hetzt.»
    «Du hast doch nicht einmal ein Schwert!»
    «Aber die Wachen haben welche.»
    Damek schüttelte fassungslos den Kopf. «Das sind vier Männer, erfahrene Krieger. Du bist völlig verrückt geworden!»
    Helgi bedachte beide mit einem finsteren Blick. «Ihr könnt hierbleiben und mit euren Göttern schwatzen – oder ihr begleitet mich.»

18.
    Helgi sog tief die frische Nachtluft ein. Es war eine Wohltat nach der Gefangenschaft in der stickigen Hütte. Auch Damek und Ansgar, die ihn begleiteten, atmeten durch. In Helgis Gürtel steckten zwei Schwerter, eines mit langerund eines mit kurzer Klinge, die er den Wachen abgenommen hatte.
    Es war leicht gewesen, die Krieger zu überwältigen. Wie an den Abenden zuvor hatten sie bei Einbruch der Dunkelheit angefangen, sich zu betrinken. Helgi hatte am Fenster gelauscht, bis ihre Zungen schwerer wurden. Schließlich war unter den Männern ein handfester Streit ausgebrochen. Worum es dabei ging, hatte Helgi nicht feststellen können, aber das war ihm auch egal. Er war durch die Luke gekrochen und hatte die Männer, die sich vor der Tür prügelten, einen nach dem anderen mit der Faust niedergestreckt. Dann hatte er sie mit Dameks Hilfe gefesselt und in der Hütte zurückgelassen, damit sie sie nicht verfolgen konnten.
    Ralsvik lag still da, als die drei durch die dunklen Gassen schlichen und bald auf den Bohlenweg stießen, der am Marktplatz vorbei zum landseitigen Siedlungsrand führte. Vor einem abseits gelegenen Gehöft, das aus einem schilfgedeckten Wohnhaus, einigen Nebengebäuden sowie einer umzäunten Weide bestand, hielt Damek

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