Das Buch der Sünden
vergessen. Helgi seufzte. Selbst ein ungewisses Ziel war besser als der Tod, der ihn hier erwartete.
In dem Augenblick, als er zu dem Schluss gekommen war, keine andere Möglichkeit zu haben, als zu fliehen, schoss ihm ein Gedanke durch den Kopf: Was genau hatte der Toblac damit gemeint, er müsse Teška beistehen? Führte sie etwas im Schilde, und wusste Damek mehr, als er vorgab?
Es werden auf Rujana Dinge geschehen, die du nicht verstehen wirst. Aber du musst mir vertrauen!
Während ihm Teškas Worte durch den Kopf geisterten, verharrte Helgi unschlüssig vor der Luke. Da hörte er plötzlich vom Bett her die Stimme des Zauberers.
«Wenn du jetzt gehst, Däne, wirst du die Wahrheit über meine Duša niemals herausfinden.»
17.
Helgi erwachte, als jemand vor der Hütte etwas rief. Dem schummrigen Licht nach war es noch früh am Morgen.
«Toblac! Toblac!», rief die Stimme von draußen. Damek wälzte sich aus dem Bett, schleppte sich zu dem schmalen Fenster neben der Tür und riss den Laden auf. Im nächsten Augenblick ergoss sich mit einem Schwall eine stinkende Flüssigkeit über ihn, begleitet vom höhnischen Gelächter mehrerer Männer. Fluchend knallte Damek den Laden wieder zu. Ein unangenehmer Geruch verbreitete sich in der Hütte. Helgi verzog das Gesicht. Damek wollte sich gerade wieder abwenden, als die Stimme von draußen erneut zu hören war. Der Zauberer erstarrte.
«Das war wohl die Rache für den Nachttopf neulich», sagte Helgi lachend.
Die Flüssigkeit tropfte von Dameks Kleidern, doch er machte keine Anstalten, sie auszuziehen. Stattdessen stand er immer noch wie erstarrt am selben Fleck. «Sie sind aufgebrochen», brachte er schließlich hervor.
«Wer?»
Langsam wandte sich Damek zu Helgi um. Das Grinsen, das sonst auf seinem Gesicht lag, war verschwunden. «DerKerl, der unsere Aufpasser befehligt, hat gesagt, dass Tetĕslav und Teška heute früh nach Norden zur Tempelburg Arkona geritten sind. Ich dachte, wir hätten noch etwas Zeit. Aber schon morgen soll dort die Hochzeit stattfinden, und in drei oder vier Tagen, nach dem Erntedankfest, sollen wir hingerichtet werden.»
Helgi ballte die Hände zu Fäusten.
«Herr im Himmel!» Ansgar sprang aus dem Bett. «Können wir denn gar nichts dagegen unternehmen?»
Damek zuckte mit den Schultern. «Tetĕslav hat weitere Krieger zurückgelassen, um die Wachen zu verstärken. Jetzt passen nicht nur die beiden Mistkerle vor der Tür auf, sondern auch noch zwei auf der Rückseite.»
«Wir müssen beten», rief Ansgar. «Nur der Herrgott kann uns retten.»
«Dein Herrgott kann mich mal», knurrte Damek. «Ich weiß, dass Teška irgendetwas im Schilde führt – auch wenn ich nicht sagen kann, was es ist. Sie will Tetĕslav überlisten, so viel ist klar. Niemals würde sie sich auf eine Hochzeit mit dem Bastard einlassen …»
Wie gern hätte Helgi dem Toblac geglaubt, musste jedoch voller Verbitterung an das Wiedersehen von Teška und Tetĕslav denken. Sie hatten sich umarmt, geküsst. Aber, verdammt nochmal, wenn sie nun dem aufgeblasenen Taubenjäger tatsächlich nur etwas vorgemacht hatte?
Währenddessen ging Damek zu einer Truhe, um seine Kleidung zu wechseln. Dabei fiel ihm das Buch in die Hände, das Ansgar darin versteckt hatte. Nachdem Damek die stinkenden Kleider in eine Ecke geworfen und sich neue angezogen hatte, nahm er das Buch heraus und hielt es Ansgar unter die Nase. Als der Missionar seine Hand danach ausstreckte, zog Damek es wieder fort.
«Diese Worte deines Herrn bringen uns kein Glück», zischte der Zauberer. «Ich sollte mir den Hintern damit abwischen.»
«Nein», kreischte Ansgar. «Es ist eine heilige Schrift. Nur der Herr kann uns vor dem Bösen bewahren. Gib mir das Buch!»
Damek schlug es auf, warf mit gerunzelter Stirn einen Blick auf die beschriebenen Pergamente und warf es dann Ansgar vor die Füße.
«Ich kenne etwas Besseres als diese nutzlosen Zeichen», sagte Damek. Aus einer anderen Truhe holte er einen kleinen Lederbeutel hervor, dessen Inhalt er bei der Feuerstelle auf den Boden schüttete.
«Jetzt kannst du etwas erleben, Christ», schnaubte er.
Helgi und Ansgar, der das Buch schützend an seine Brust drückte, traten neben den Zauberer. Schweigend beobachteten sie, wie Damek aus dem Sammelsurium von Kleinteilen einen scharfen Eckzahn auswählte, der so groß war, dass er nur von einem Bären stammen konnte. Der Zauberer nahm den Zahn und schlitzte die Haut an seinem Unterarm auf. Das
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