Das Buch der Sünden
Tempelplatz deutete. Irgendetwas führten die beiden im Schilde.
Sichtlich um Fassung bemüht, trat Žilobog vor Svjatoslav. «Das Weib hat nun lange genug Lügen verbreiten können. Jetzt ist das Wort an mir.»
Svjatoslav nickte.
Žilobog wandte sich an die Menge. «Diese Lügnerin macht mit den Feinden unseres Volkes gemeinsame Sache. Ihr braucht einen Beweis dafür? Bitte! Alle Priester sollen sofort ihre Kapuzen abnehmen. Alle!»
Auf dem Platz machte sich Verwirrung breit. Aber dann kamen die Männer der Aufforderung nach – bis auf drei Priester, die ihre purpurfarbenen Kapuzen aufließen.
«Das sind die Verbündeten der Lügnerin», keifte Žilobog. «Der erste ist der abgesetzte Zauberer des Wojwoden Ranislav, der zweite ein Däne – und der dritte ein Mönch. Ein Mönch! Ihr habt richtig gehört: Die Lügnerin hat einen verdammten Christen in Svantevits Heiligtum geschmuggelt.»
Starr vor Entsetzen, musste Teška mit ansehen, wie sich Dutzende Männer auf ihre drei Freunde stürzten und ihnen die Kapuzen herunterrissen. Teška taumelte. Der Hohepriester hatte recht gehabt. Irgendwie hatten die drei es geschafft, in die Tempelburg zu gelangen – und dadurch ihren Plan zerstört.
Die Ranen prügelten auf Ansgar, Helgi und Damek ein. Helgi versuchte zwar, sich mit all seiner Kraft gegen die Angreifer zu wehren, aber auch er wurde schließlichniedergerungen. Ebenso wie Damek und Ansgar, auf die man noch mit Stiefeln eintrat, als sie längst regungslos am Boden lagen.
Žilobog ließ die Menge eine Weile gewähren. Dann forderte er sie auf, die Verletzten vor das Podest zu bringen. Ihre Gesichter waren blutüberströmt.
«Nun», sagte Žilobog triumphierend zu Svjatoslav, «was glaubt Ihr, Ratsältester? Wer spricht hier die Wahrheit?»
Svjatoslav bedachte Teška mit einem feindseligen Blick. «Du und deine Freunde – ihr werdet sterben.»
Teškas Kehle war wie zugeschnürt. Sie war so dicht dran gewesen. Warum hatten sie ihr nicht vertraut?
Plötzlich fiel ihr die Flasche wieder ein. Es war zwar nur ein vager Verdacht, aber sie glaubte zu wissen, was sich darin befand. Was Tetĕslav damit jedoch tatsächlich vorhatte, konnte sie nur vermuten. Aber es war ihre einzige Chance.
Teška nahm ihren letzten Mut zusammen und rief: «Tetĕslav versteckt unter seinem Hemd eine mit Gift gefüllte Flasche. Er wird sie Žilobog geben, damit er den Priesterrat und den König vergiftet, wenn er euch zum Abschluss der Zeremonie aus der Blutschale trinken lässt. Die beiden wollen euch alle aus dem Weg räumen, um die Alleinherrschaft über die Ranen zu erlangen!»
Žilobog und Tetĕslav tauschten Blicke, und Teška hätte beinahe triumphierend aufgeschrien, als sie die Angst in ihren Gesichtern erkannte. Dann wichen die beiden zurück. Auf dem Platz und dem Podest machte sich Unruhe breit. Einige der Ratsmitglieder waren aufgesprungen und redeten auf Žilobog und Tetĕslav ein.
Als Einziger bewahrte Svjatoslav die Ruhe. «Das ist dieschrecklichste Anschuldigung, von der ich jemals gehört habe. Tetĕslav – trägst du wirklich eine solche Flasche bei dir? Lass dich durchsuchen!»
«Dazu habt Ihr kein Recht», keifte Žilobog.
Svjatoslav winkte unbeeindruckt vier Tempeldiener herbei, die – neben dem Hohepriester – die einzigen Männer waren, die in dem Heiligtum Waffen tragen durften. Auf ein Zeichen von Svjatoslav hin zogen die Tempeldiener ihre Schwerter, als sie das Podest erklommen.
Plötzlich wirbelte Tetĕslav herum und sprang auf das Pferd. Der Schimmel bäumte sich unter ihm auf. Die Männer in den ersten Reihen duckten sich unter den Hufen weg. Das Pferd bockte. Doch Tetĕslav bekam es unter Kontrolle, er war ein hervorragender Reiter. Schreiend stob die Menge auf dem Platz auseinander, als Tetĕslav durch sie hindurchpreschte. Vor dem Tor sprang ihm ein Tempeldiener mutig in den Weg, aber Tetĕslav trat ihm ins Gesicht. Dann beugte er sich hinunter, riss dem Diener das Schwert aus der Hand und stach es ihm oberhalb des Kettenpanzers in den Hals.
Teška beobachtete Tetĕslavs Flucht mit einer Mischung aus blankem Entsetzen und Freude. Er gestand dadurch seine Schuld ein. Wenn man ihn nicht aufhielt und tötete, würde sie nie vor ihm sicher sein.
Ungehindert schaffte es Tetĕslav, den Balkenriegel zur Seite zu schieben und einen der Torflügel zu öffnen. Keiner der umstehenden Wojwoden oder Priester wagte es, gegen ihn vorzugehen. Auch die Soldaten zwischen den Schutzwällen griffen nicht
Weitere Kostenlose Bücher