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Das Buch der Sünden

Das Buch der Sünden

Titel: Das Buch der Sünden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Axel S. Meyer
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gegenüber der Bibliothek befand. Odo lauschte in die Nacht. Der Regen trommelte auf die Dächer und platschte in die Pfützen. Weitere Geräusche waren nicht zu hören. Er klopfte an Rabans Tür, die sofort von innen geöffnet wurde. Raban hatte ihn erwartet. Sein hageres Vogelgesicht erschien, und er bedeutete Odo mit einem kurzen Nicken einzutreten. Dann schloss er hinter ihm die Tür. Die karge Einrichtung der Zelle bestand aus einer Pritsche, einer Truhe, einem Tisch und zwei Stühlen. Auf dem Tisch brannten eine Tranlampe und mehrere Kerzen, die in einem silbernen Kerzenständer steckten.
    Raban nahm auf einem der Stühle Platz. Odo blieb mitten im Raum stehen.
    «Du hast Mut, das muss man dir lassen», sagte Raban. «Hast du das Buch in diesem Beutel bei dir?»
    «Ja.»
    «Dann gib es mir.»
    Odo trat vor den Tisch. «Ich weiß, dass es ein zweites Buch geben muss. Jenes Exemplar, von dem Ihr einst eigenhändig als junger Mönch die Abschrift angefertigt habt.»
    Raban hob die Augenbrauen. «Du weißt sehr viel. Viel zu viel für einen Peregrinus!»
    «Ich habe Euch in jener Nacht in der Bibliothek belauscht.»
    Rabans Nasenflügel zitterten vor Wut. «Und dann hast du die Kiste aufgebrochen und das Buch gestohlen?»
    Odo nickte. «Ich habe mein Leben lang nach dieser Schrift gesucht. Gott hat mich hierhergeführt, damit ich das Buch finde, um das zu vollenden, was darin geschrieben steht.»
    Raban starrte ihn ungläubig an. «Die Apokalypse?»
    «
Alaetheia Apokalypsis»,
sagte Odo. «Die wahrhaftige Offenbarung.»
    Raban straffte seinen Oberkörper und erhob sich ruckartig. «Lautet die Wahrheit nicht vielmehr, dass du im Auftrag der lasterhaften Königshäuser gehandelt hast?»
    «Nein. Ich handele allein in Gottes Auftrag.»
    «Das soll ich dir glauben?» Es fiel Raban sichtlich schwer, sich zu beherrschen. «Das Buch der Sünden war für Papst Nikolaus bestimmt, der sich seit Jahren in erbittertem Streit mit Kaiser Lothar von Lotharingen und König Ludwig befindet. Es sollte die Position des Papstes gegenüber den weltlichen Mächten stärken. Denn in dem Buch wird den Abweichlern ein Spiegel ihrer heidnischenTaten vorgehalten. Es ist ein heiliges Buch, dessen Worten sich keiner entziehen kann. Allen Sündern drohen die Höllenstrafen!»
    «Nein! Es ist kein Spiegel», rief Odo. «Es ist das Instrument zur Vollendung des Reichs Gottes auf Erden. Es geht darum, alles – ja, alles! – Böse auf der Welt zu vernichten!»
    «Halt dein vorlautes Maul, Dieb», brüllte Raban. Auf seiner Stirn traten die Adern hervor. «Vor einigen Wochen ist der verfluchte König Ludwig mit einem Heer in Rom eingefallen. Diese Kreaturen plünderten und mordeten, sogar Kirchen wurden geschändet. Der Papst entging dem Morden nur, weil er sich im Lateran eingeschlossen hatte. Dies alles hätte verhindert werden können, wenn du das Buch nicht gestohlen hättest.»
    Odo ließ sich von Rabans Wutausbruch nicht beirren und bedachte ihn mit einem verächtlichen Blick. «Ihr solltet nicht so tun, als ob Euch irgendetwas am Papst oder an den sündigen Königen gelegen wäre, Subprior! Ihr seid einzig und allein daran interessiert, dass man Euch zum Prior dieses Klosters ernennt!»
    Raban kochte vor Wut. Als er seine knochige Hand nach Odo ausstreckte, zitterten seine Finger.
    «Gib mir das Buch, Fremder!»
    Odo öffnete den Beutel, nahm das Bündel verkohlter Pergamente heraus und reichte es Raban.
    Der Subprior zuckte entsetzt zurück. «Was in Gottes Namen ist damit geschehen?»
    «Das Buch ist verbrannt», erwiderte Odo kalt.
    Raban taumelte für einen Augenblick. Dann fing er sich wieder und brüllte: «Herein mit euch!»
    Odo wirbelte herum, als die Tür aufflog. Zwei Männerdrängten in die Zelle. Sie waren gekleidet wie Soldaten des Bischofs, und in ihren Händen blitzten Kurzschwerter auf. Die Tür fiel ins Schloss.
    «Tötet den Dieb!», zischte Raban.
    Noch ehe Odo das Messer hervorholen konnte, schlug einer der Soldaten nach ihm. Odo duckte sich unter dem Hieb weg und schleuderte dem Mann die Pergamente ins Gesicht. Schwarze Fetzen verdeckten dem Angreifer die Sicht. Sofort sprang der zweite Soldat hinzu. Aber Odo war schneller, nahm sein Messer und rammte es ihm in den Hals. Die Klinge drang bis zum Schaft ein. Der Mann schrie auf. Als Odo die Klinge wieder herauszog, schoss eine Blutfontäne aus der Wunde.
    Der zweite Soldat wich überrascht zurück. Offensichtlich hatte er nicht damit gerechnet, dass Odo bewaffnet war.

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