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Das Buch der Sünden

Das Buch der Sünden

Titel: Das Buch der Sünden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Axel S. Meyer
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Kirche für die Kranken untergebracht.
    Natürlich wusste Odo, dass die Krankenversorgung innerhalb der Klostermauern ausschließlich Männern vorbehalten war. Einzig bei adligen Damen machte man hin und wieder eine Ausnahme. Er hoffte jedoch, dass die Benediktiner ein schwangeres Weib nicht verstoßen würden, wenn es erst einmal im Hospiz wäre.
    Notkar steuerte den Krankentrakt an. Es dauerte einen Augenblick, bis auf sein Klopfen hin geöffnet wurde. Ein älterer Mönch erschien in der Tür. Der Cellerar, der alle wirtschaftlichen Bereiche des Klosters verwaltete, starrte sie aus milchig trüben Augen an und nuschelte: «Was gibt’s, Bruder?»
    «Ich grüße dich, Bruder L-l-liutolf», sagte Notkar, «wir bringen einen Kranken.»
    «Der Arzt ist bei der Feier in der Kathedrale», erwiderte Liutolf. «Wenn es dringend ist, musst du ihn holen.»
    Notkar warf Odo einen unsicheren Blick zu.
    Odo sagte: «Die Behandlung kann bis nach dem Gottesdienst warten.»
    Liutolf starrte in Odos Richtung: «Wer ist da bei dir?»
    «Ein Bruder aus dem Kloster Saint G-g-geneviève», antwortete Notkar, «und   … äh, der Kranke.» Notkar schwitzte unter seiner Kutte. Nicht nur, dass er sich zum Helfer eines Diebes machte, jetzt musste er auch noch den Cellerar anlügen!
    «Dann folgt mir», sagte Liutolf, drehte sich um und schlurfte voran ins Innere des Krankentraktes. Während sie durch einen dunklen Flur gingen, befragte der Alte sie nach den Beschwerden des Patienten.
    «Sein B-b-bauch – er ist aufgebläht», sagte Notkar.
    In dem Moment stöhnte die Schwangere gedämpft unter der Decke. Liutolf hielt kurz inne, ging dann aber weiter. Offenbar hatte auch sein Hörvermögen mit den Jahren gelitten.
    «Ich hoffe, es ist nichts Ernstes, ein Geschwür oder so etwas», sagte er nach einer Weile. «Vielleicht hat er nur etwas Falsches gegessen. Ich werde ihm einen krampflösenden Trank zubereiten.»
    Sie kamen in einen größeren, von Trankerzen matt erleuchteten Raum, in dem mehrere Lager aus Stroh, Fellen und Decken für die Kranken bereitstanden. Erleichtert stellte Odo fest, dass alle Betten leer waren. Er geleitete die Frau zu einem der Lager und half ihr, sich niederzulegen. Da stieß sie plötzlich einen markerschütternden Schrei aus.
    Liutolf zuckte zusammen. Seine trüben Augen weiteten sich erstaunt. «Ist das etwa   …»
    «Ja! Es ist eine Frau», sagte Odo. «Und zwar eine hochschwangere!»
    Liutolf bekreuzigte sich. «Allmächtiger – ein Weib! Warum habt Ihr sie nicht ins Pilgerhaus gebracht? Ihr wisst doch   …»
    «Dafür ist es jetzt zu spät», warf Odo ein. «Sie ist kaum noch in der Lage zu gehen.»
    Liutolf schnaubte. «Bist du der Vater des Kindes, Bruder?»
    Odo musste bei der Vorstellung innerlich lachen. «Nein. Bei Gott, ich schwöre, dass ich es nicht bin.»
    Liutolf starrte in Odos Richtung. Dann gab er sich einen Ruck, krempelte seine Ärmel hoch und kniete neben der Schwangeren nieder. «Dann soll es wohl so sein», sagte er. «Ich werde mich um das Weib kümmern. Geht ihr in die Kathedrale und benachrichtigt den Bruder Arzt. Er soll unmittelbar nach dem Gottesdienst herkommen.»
    Vorsichtig befreite der Cellerar die Frau von den klammen Decken. Darunter trug Teška ihr Hochzeitskleid, dessen mit Silberfäden durchwirkter Stoff einst glänzend weiß gewesen war. Jetzt war das Leinenkleid mit Schmutzflecken übersät und an vielen Stellen zerrissen. Liutolf zog es über ihr Becken und entblößte den prallenBauch. Schluchzend biss Teška sich auf die Unterlippe. Der Cellerar legte seine Hand auf straffe Haut, unter der er die Bewegungen des ungeborenen Kindes spürte.
    «Es scheint, als ob das Menschenkind bald zur Welt kommen wird», sagte er und lächelte milde.
    Ja, das wird es, dachte Odo. Der Verderber drängt ans Licht!
     
    Der Gottesdienst hatte bereits begonnen, als Odo und Notkar die Kathedrale über den Kreuzgang betraten. Sie kamen in die vollbesetzten Seitenkapelle und mischten sich unter die Mönche. Die dreischiffige Basilika schien vor Menschen fast zu platzen. Hunderte von Mönchen, Adligen und Pilgern drängten sich zwischen den Säulen zusammen. Die Luft war stickig, und die feuchten Kleider dünsteten unangenehme Gerüche aus.
    Der Abt des Klosters, Grimald, beendete gerade seine Predigt.
    Gemurmel erhob sich.
    Grimald verbeugte sich tief in Salomons Richtung. Der Bischof erhob sich ächzend von einer Bank in der gegenüberliegenden Seitenkapelle. Langsam ging er zu der

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