Das Buch der Sünden
Man empfing jeden mit offenen Armen, der sich den Christen anschließen wollte. Von den Dänen wurden sie Munkis genannt, weil sie sie alle für Mönche hielten.
«Gib den Knaben Zeit, mein Sohn», sagte Odo. «In einigen Wochen sind sie ebenso fromm wie du.»
Von den Jungen der Gemeinde mochte Odo den kleinen Folke am liebsten. Er war ein aufgeweckter Kerl, der die Psalmen und Gebete rasch lernte und sich trotz der heidnischen Vorprägung in kürzester Zeit dem christlichen Glauben untergeordnet hatte.
Für Odo war Folke ein leibhaftiger Beweis dafür, dass man die Dämonen bisweilen auch durch Gebete austreiben konnte. Dies gelang jedoch nur sehr selten.
Folke schaute Odo missmutig an. «Sie dürfen mich nicht mehr ärgern, sonst …»
Odo hob mahnend eine Hand. «Begegne ihnen mit einem Lächeln. Wahre Größe zeigt sich nicht in eilfertiger Rache. Der Herrgott sagt: ‹Nur Güte und Gnade werden mir folgen ein Leben lang, und ich werde bleiben im Haus des Herrn immerdar.›»
Er bekreuzigte sich. «Und nun geh zu den anderen und bereite dich auf die Sext vor, die Bruder Arculf mit euch feiern wird.»
Folke nickte stumm. Dabei zog er ein Gesicht, als habe er Essig getrunken. Er trottete zum Gemeindehaus und flüsterte kaum hörbar: «Ich werde Geri töten.»
Die neuen Gebäude entstanden nur einen Steinwurf entfernt von der alten Kirche, und sie würden wunderbar werden.
Als Odo sich mit freudiger Erwartung seiner Baustelle näherte, trat ihm Ulf Uppsmiðan, der Baumeister, entgegen.
«Ist die Lieferung inzwischen eingetroffen?», wollte Odo wissen.
Ulf deutete freudestrahlend auf einen Haufen grober, noch unbearbeiteter Steine. Sie stammten aus einem etwa zwanzig Meilen entfernten Steinbruch. Damit wollte Odo das Fundament und die Wände der neuen Kirche errichten.
Ein Haus Gottes – ganz aus Stein!
Odo konnte es noch immer kaum fassen, dass man wirklich mit dem Bau begonnen hatte. Seit zwei Wochen wurde nun schon an der Kirche und einem neuen Gemeindehaus gearbeitet. Es sollte nach Art eines Langhauses entstehen und wie ein kleines Kloster werden. Hier würden die Brüder in einem abgetrennten Dormitorium schlafen und in einem Refektorium ihre Mahlzeiten zu sich nehmen. Die Gemeinde wuchs rasch, man brauchte mehr Platz.
Als Odo vor etwa einem Jahr in das Babylon des Nordens gekommen war, hatte er hier eine Christengemeinde vorgefunden, wie sie erbärmlicher nicht hätte sein können: Ganze sieben Männer und drei Knaben scharten sich um einen Priester, diesen Arculf, der das geistliche Amtnicht verdiente. Die Gestalten vegetierten vor sich hin. Sie hausten in einer baufälligen Hütte, durch die der Wind pfiff und durch deren Dach der Regen tropfte.
Aber jetzt, allein durch Odos Arbeit, erblühte das christliche Leben wie niemals zuvor: Zweiundzwanzig Männer und dreizehn Knaben zählte die Gemeinde mittlerweile, und einige der neuen Mitglieder hatten sogar ein wenig Geld mitgebracht. Die Christen waren zwar nicht reich, hatten aber ausreichend zu essen, ihre Kleidung war sauber und gepflegt. Außerdem hatte Odo regelmäßige Gottesdienste nach der Ordnung und dem Tagesrhythmus des heiligen Benedikt eingeführt: das Morgengebet zur Laudes, das Mittagsgebet zur Sext und das Abendgebet zur Vesper.
Es war eine Gemeinde, auf die ihr Oberhaupt, der neue Priester Odo von Lutetia, stolz war. Und es war eine Gemeinde, die auf sich stolz sein konnte, vertrat sie doch selbstbewusst den christlichen Glauben auf diesem nördlichen Vorposten, umzingelt von den Dämonen.
Jeden Tag kam Odo auf die Baustelle, um sich vom Fortgang der Arbeiten zu überzeugen.
«Das Fundament der Kirche werden wir bis heute Abend fertigstellen», sagte Ulf.
Sie schlenderten über den Bauplatz, auf dem die Christen gemeinsam mit den Handwerkern arbeiteten.
Odo musterte den Neubau des Gemeindehauses. Dieses Gebäude entstand ganz im Stile gewöhnlicher Häuser der Stadt Haithabu. Bislang hatte man die Pfähle für die Seitenwände gesetzt. Sie waren nicht einfach in den sandigen Boden eingegraben, sondern aus Gründen der Stabilität in eine waagerecht liegende Schwellbohle eingelassen worden. Als Bauholz ließ Odo teures, aber wesentlichhaltbareres Eichenholz verwenden. Die Wände würden bald aus ineinandergesetzten Spaltbohlen gezogen und dann mit Flechtwerk, Moos und Lehm abgedichtet werden.
Aber so weit war man noch nicht.
Auch die Kirche war trotz der Vorarbeiten noch nicht als solche zu erkennen. Bislang hatte
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