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Das Buch der Sünden

Das Buch der Sünden

Titel: Das Buch der Sünden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Axel S. Meyer
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man das Fundament, bestehend aus den von Steinmetzen bearbeiteten, massiven Bodenplatten, gelegt. Nun machten sich die Arbeiter daran, die Seitenwände hochzuziehen.
    Vor Odos geistigem Auge erstrahlte die Kirche bereits in all ihrer Pracht: Es würde eine abgerundete Apsis für den Altar, einen kleinen Chor, ein Langhaus und ein wundervolles Portal geben.
    Wie jämmerlich und eines Gotteshauses unwürdig nahm sich da doch die Kirche aus, die Ansgar einst errichtet hatte und in der bis heute die Gottesdienste abgehalten wurden.
    Natürlich würde sich Odos Kirche nicht mit der Kathedrale Saint Etienne in Paris vergleichen lassen. Mit der Kirche von Sankt Gallen auch nicht. Aber eines Tages würde er an diesem Ort, von dem aus die Säuberung der sündigen Welt ausgegangen war, eine Kathedrale errichten lassen, die alle bekannten Gebäude in den Schatten stellen sollte. Auch Saint Etienne und Sankt Gallen.
    «Morgen beginnen wir mit der Herstellung des Mörtels und ziehen dann die Steine auf», erklärte Ulf. «Außerdem habe ich einige Männer abgestellt, die sich um die Errichtung der Baugerüste kümmern.»
    Odo nickte zufrieden. Seit er dem Baumeister Ulf das Kommando gegeben hatte, hatten die Arbeiten eine neue Qualität bekommen. Er hatte Ulf in Haithabu aufgetrieben,wo dieser in einem der Neubauviertel arbeitete. Ulf hatte in seinem Berufsleben schon zahlreiche Holzhäuser errichtet und es dabei zu großem Können und einem guten Namen gebracht. Sein Ruf war weit über die Stadtgrenzen hinaus bekannt.
    Aber Ulf war unzufrieden gewesen. Vor einigen Jahren hatte er im Frankenland zum ersten Mal Steinhäuser gesehen. Diese Bauweise hatte ihn sehr beeindruckt. Als Odo ihm anbot, ein Gebäude aus Steinen zu errichten, zögerte Ulf daher keinen Augenblick. Er kündigte noch am selben Tag bei seinem alten Dienstherrn.
    Ulf war zwar Däne, und er betete wie die meisten Normannen die heidnischen Götzen an. Trotzdem hatte er viele Tugenden, die eines guten Christen würdig waren.
    Eines Tages werde ich auch Ulf zum wahren Glauben bekehren, dachte Odo.
    «Wie viel Zeit werden wir für den Bau der Kirche noch benötigen?», fragte Odo seinen Baumeister.
    Ulf spitzte die Lippen. «Vielleicht einen Monat, höchstens aber sechs Wochen.»
    «Dann sieh zu, dass du es in einem Monat schaffst.» Er klopfte Ulf auf die breiten Schultern. «Wir haben keine Zeit zu verlieren. Kaufe jeden Mann ein, den du bekommen kannst.»
    «Aber das wird viel Geld kosten», meinte Ulf. «Schon jetzt verschlingen die Löhne der Handwerker und die Kosten für das Material Unsummen.»
    «Mach dir um das Geld keine Sorgen», erwiderte Odo.
    Ulf warf dem Priester einen schrägen Blick zu. «Darf ich Euch fragen, woher Ihr das Geld habt?»
    Odo setzte ein gütiges Lächeln auf. «Nein, das darfst du nicht, mein Sohn. Und jetzt geh wieder an die Arbeit   …»
    In dem Moment kam ein Junge aus der alten Kirche gerannt. «Vater! Vater, schnell!»
    Es war Torben. Odo ging dem Jungen entgegen.
    «Vater, es ist etwas Schreckliches geschehen», rief der Junge atemlos.
    «Nun beruhige dich erst einmal», forderte Odo ihn auf.
    «Es ist wegen Folke», japste Torben. «Er hat   … er hat ein Messer. Er hat Geri angegriffen.»
    Die Nachricht traf den Priester wie ein Faustschlag.
    O nein!, dachte er. Nicht Folke!
     
    Odo riss die wackelige Tür zur alten Kirche auf. Der Anblick raubte ihm den Atem.
    Arculf, der unfähige Priester, rief mit angstvoller Stimme Gott um Hilfe an, anstatt sich selbst um die Streithähne zu kümmern. Auf dem Boden der Kirche wälzte sich ein Knäuel aus Armen, Beinen und Köpfen. Inmitten der schnaufenden und fluchenden Jungen lag Folke. Der Junge wehrte sich gegen die anderen, die auf ihn einschlugen, ihn kratzten und bissen. Folke blutete bereits aus zahlreichen Wunden.
    Odo rannte zu den Knaben, verdrehte ihnen die Arme, packte diesen und jenen im Nacken, um sie von Folke fortzureißen.
    Nachdem die Angreifer sich in die hintersten Ecken des Baus verkrochen hatten, stellte Odo den alten Arculf zur Rede. Arculf war bereits über fünfzig; seine Haut war aschfahl, sein Haar grau und sein langer Bart schneeweiß.
    Mit zitterndem Finger zeigte Arculf auf Folke. «Der da hat angefangen.»
    «Angefangen? Womit angefangen?», rief Odo ungehalten.
    Aus einer dunklen Ecke drang ein klagender Laut. Dort lag Geri und wälzte sich einer Blutlache.
    «Folke wollte mich töten», schrie er.
    Odo kniete nieder, um die Verletzung zu untersuchen.

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