Das Buch der Sünden
Folke das Versteck ausfindig gemacht haben musste. Dabei könnte er auch das Buch gesehen haben. Der Junge konnte zwar noch nicht lesen. Wenn er jedoch die Zeichnungen studiert hatte und von den Vorfällen in der Stadt erfahren würde, könnte sich der intelligente Junge einen Reim darauf machen.
Odo wusste, was das bedeutete. Er würde Folke beseitigen müssen. Mit einem bitteren Gefühl begab er sich in seine Kammer.
Es würde ihm leidtun um Folke.
13.
Einar japste gierig nach Luft. Seine Augen quollen aus den Höhlen.
«Jetzt reicht es!», rief Gullweig streng. Sie kniete sich neben ihren Mann und sagte: «Leg dich sofort ins Bett. Heute rührst du keinen Hammer mehr an!»
Doch Einar wischte ihre Hand fort. «Lass mich in Ruhe! Ich allein entscheide, wann und wie lange ich arbeite.»
Helgi, der die beiden beobachtete, legte die Zange beiseite, in der noch der halbfertig geschmiedete Axtkopf steckte.
«Mutter hat recht», warf er ein. «Dein Husten wird immer schlimmer.»
«Husten?», keuchte Einar, mühsam einen neuen Anfall unterdrückend. «Dass ich nicht lache! Das hier ist gar nichts gegen den Husten, den ich mir damals in dem verfluchten Winter eingefangen habe, als du geboren wurdest, Junge. Das war ein Husten. Aber das hier …»
Einar stockte, sein Gesicht lief rot an. Er presste die Lippen zusammen, blies die Wangen auf wie eine Erdkröte. Der Husten brach erneut aus ihm hervor wie Wasser aus einem gebrochenen Damm, und Einar krümmte sich vor Schmerzen.
Gullweig forderte Helgi auf, den Vater in die Schlafkammer zu tragen. Helgi hob Einar hoch, was ihm keinerlei Schwierigkeiten bereitete. In seinen Armen war Einar leicht wie ein junger Hund.
Gullweig folgte den beiden. «Ich werde ihm ein krampflösendes Mittel zubereiten», sagte sie.
Sie betteten Einar auf das Schlaflager, zogen ihm Schmiedeschürze und Tunika aus und wischten ihm den Schweiß von der fiebrigen Stirn.
Gullweig verschwand seufzend in der Küche.
«Bitte hör auf Gullweig, Vater», sagte Helgi. «Sie meint es gut mit dir.»
Einar starrte ihn aus glasigen Augen an. «Aber wir … wir dürfen keine Zeit verlieren. Wir müssen die erste Hälfte der Waffenbestellung bis zum Herbst abliefern. Sonst bekommen wir keinen Vorschuss.»
Sie hatten das von Olaf erhaltene Geld längst ausgegeben. Der größte Teil davon war für die Eisenbarren draufgegangen, die Einar in der etwa zehn Meilen entfernten Eisenhütte bei dem Ort Sliesthorp, auf der anderen Seitedes Fjords, eingekauft hatte. Die Fische und auch das meiste Getreide waren inzwischen aufgebraucht. Ihr Speiseplan bestand wieder aus dem mit bitterem Eichelmehl hergestellten Brot und Hafergrütze.
Helgi ging in die Küche. Dort war Gullweig mit der Herstellung einer eigenartigen Substanz beschäftigt. Dafür zerstieß sie die im Rauch getrockneten, hodenförmigen Drüsensäcke eines Bibers mit einem Mörser in einer kleinen Specksteinschale. Sie gab Essig hinzu, bis eine harzartige Masse entstand. Diese Medizin brachte sie in die Schlafkammer.
Einar rümpfte die Nase. «Was ist das?»
«Bibergeil. Es wird deine Hustenkrämpfe lindern.» Gullweig hielt ihm einen Löffel vor den Mund.
«Bibergeil?», knurrte Einar. «Was für ein merkwürdiger Name.»
Gullweig zuckte mit den Schultern. «Ich habe das Rezept von meiner Großmutter. Sie hat gesagt, dass es die Blutungen der Frauen fördert, den Fötus und die Nachgeburt austreibt. Außerdem ist es gut gegen Blähungen, Schlafsucht – und gegen Krämpfe.»
«Aber ich habe weder Blutungen noch einen Fötus im Leib – sondern Husten.»
«Mach den Mund auf!»
«Das Zeug stinkt schlimmer als Gizur unter den Achseln.»
«Nun mach schon!»
Einar würgte den Trank angewidert herunter. «Bist du nun zufrieden?», maulte er.
Gullweig schüttelte den Kopf. «Erst wenn du alles getrunken hast.»
Der Alte starrte in die noch zur Hälfte gefüllte Schale.Er stieß einen Seufzer aus und schluckte die bittere Medizin bis auf den letzten Löffel. Dann ließ er sich auf die Felle sinken.
Er winkte Helgi zu sich. «Du musst erst einmal allein weitermachen, Junge.»
Helgi war entsetzt. «Ich habe bislang nur Hufeisen und Nägel geschmiedet, aber noch keine Waffen.»
«Keine Ausreden! Du schaust mir seit Jahren bei der Arbeit zu.» Einar rollte sich auf die Seite und schloss die Augen.
Kurz darauf fand sich Helgi in der Werkstatt wieder.
Eine Weile stand er unschlüssig herum, betrachtete die Werkzeuge, die Esse und den
Weitere Kostenlose Bücher