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Das Buch der Toten

Das Buch der Toten

Titel: Das Buch der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Kellerman
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geworden… Willie Burns war schon gut eine Woche weg, vielleicht auch länger. Ich weiß noch, dass ich nach Willie gefragt habe, weil es ohne ihn auf den Gängen so still war. Er hatte immer bei der Arbeit vor sich hin gesummt, ganz leise, Blues. Er sah immer bekifft aus, aber er hatte eine gute Stimme. Und er war freundlich, hat einem immer in die Augen geschaut und gelächelt und ›hi‹ gesagt.«
    »War er zu allen freundlich?«
    »Zu den Jugendlichen. Sie schienen ihn zu mögen, wenn ich auch den Eindruck hatte, dass manche sich über ihn lustig machten, weil er immer irgendwie high wirkte. Nur wenn er mit Caroline zusammen war, benahm er sich immer sehr merkwürdig, als ob er etwas zu verbergen hätte. Aber nun war er, wie gesagt, nic ht mehr da, und eine ältere Frau hatte seinen Job übernommen, eine Latina, die kein Wort Englisch sprach. Ich fragte die anderen Leute, was aus Willie geworden sei, aber niemand schien etwas zu wissen.« Sie wand sich in ihrem Sessel, legte eine Hand aufs Knie. »An diesem Montag trug ich gerade Akten aus, als Larner mich in sein Büro bestellte. Es ging angeblich um ein neues Ablageverfahren. Das kam mir merkwürdig vor, weshalb sollte der Direktor sich mit einer Praktikantin über solche Interna unterhalten wo llen? Ich wollte nicht hingehen, sah aber keine Möglichkeit, mich zu drücken. Wenn ich mich geweigert hätte, wäre mir das als aufsässiges Verhalten angekreidet worden. Als ich das Büro des Direktors betrat, war Larners Sekretärin im Vorzimmer, und das beruhigte mich ein wenig. Aber dann sagte sie mir, ich solle gleich hineingehen, und machte die Tür hinter mir zu. Es war Sommer, ich trug ein ärmelloses weißes Strandkleid; meine Sonnenbräune war nicht zu übersehen, und ich wusste genau, dass er eine Bemerkung darüber machen würde. Ich ärgerte mich über meine eigene Dummheit, warum hatte ich mich nicht ein bisschen züchtiger angezogen? Aber Larner sah mich überhaupt nicht an. Er stand mit dem Rücken zu mir, die Ärmel hochgekrempelt, in der einen Hand eine Zigarre , in der anderen den Telefonhörer. Ich blieb an der Tür stehen. Er wippte auf den Absätzen, hielt den Hörer fest umklammert und hörte schweigend zu. Er war ein großer, fetter, rosiger Fleischberg, absolut widerlich, und die Pranken, mit denen er den Hörer gepackt hielt, waren fleckig wie Frühstücksfleisch. Dann drehte er sich halb um, schien mich aber immer noch nicht wahrgenommen zu haben. Ich erkannte sein Gesicht kaum wieder. Wenn ich ihm zuvor begegnet war, hatte er immer gelächelt. Anzüglich gegrinst vielmehr. Jetzt kochte er vor Wut. Er war knallrot, er hat von Natur aus einen rosigen Teint, aber nun sah er aus wie eine Tomate. Ich erinnere mich noch an den Kontrast zu seinen Haaren, er hatte dieses weißblonde Haar, das immer aussah, als hätte er es gewachst. Ich blieb einfach mit dem Rücken zur Tür stehen, während er etwas in die Muschel bellte und den Hörer auf die Gabel knallte. Das Einzige, was ich mitbekam, war der Name Willie Burns. Und dann so etwas wie ›Wir sollten irgendetwas unternehmen.‹ Danach legte er auf.« Sie hob eine Hand. »Das ist alles. Ich habe dem nie viel Bedeutung beigemessen, weil es nicht im Zentrum meiner Erinnerungen stand.«
    »Sie hatten Ihre eigenen Probleme«, sagte ich.
    Sie senkte den Kopf, um ihn dann ganz langsam wieder zu heben. Sie hatte die Augen geschlossen, und die Farbe war aus ihrem Gesicht gewichen.
    »Nachdem er den Hörer auf die Gabel geknallt hatte, begann er eine andere Nummer zu wählen. Dann sah er mich und warf mir diesen überraschten Blick zu, überrascht und hasserfüllt. Als ob ich dort nichts verloren hätte. Und dann war es wieder da, sein typisches Lächeln. Aber der Zorn wich nicht aus seinem Gesicht, und die Kombination erschreckte mich, sie hatte etwas aggressives, raubtierhaftes. Er kam um den Schreibtisch herum auf mich zu, schüttelte mir die Hand und wollte sie gar nicht mehr loslassen; dann lud er mich ein, Platz zu nehmen, und sagte so etwas wie: ›Was macht denn meine Lieblingspraktikantin?‹ Dann stellte er sich hinter mich und blieb einfach so stehen, rührte sich nicht und sagte kein Wort. Ich konnte seine Zigarre riechen, der Rauch wehte mir in die Nase. Noch heute kann ich keine Zigarre sehen, ohne…«
    Sie sprang auf, ging rasch zu ihrem Schreibtisch und setzte sich dahinter, brachte eine Barriere aus Holz und einen Abstand von mehreren Metern zwischen sich und mich.
    »Er fing an zu

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