Das Buch der Toten
Sie sich nichts haben zu Schulden kommen lassen, dann haben Sie auch nichts zu befürchten. Und Sie können Ihren Mann auch nicht dadurch schützen, dass Sie sich weigern, mit uns zu kooperieren. Wenn ich ihm Schwierigkeiten machen wollte, müsste ich nur mit meinem Vorgesetzten sprechen. Ein Anruf von ihm würde genügen, und…«
Er hob die Hände.
Waters stemmte die Fäuste in die Hüften. Sie starrte ihn unverwandt an, und ihr Blick war kalt. »Warum tun Sie das?«
»Um herauszufinden, wer Janie Ingalls auf dem Gewissen hat. Sie haben in einem Punkt Recht. Es war widerlich. Sie wurde gefoltert, mit glühenden Zigaretten verbrannt, verstüm…«
»Nein, nein, nein! Die Schocktherapie können Sie sich sparen.
Für wen halten Sie mich denn?«
Milo presste die Handflächen gegeneinander. »Wir steuern hier auf eine ganz und gar überflüssige Konfrontation zu, Ms. Waters. Sagen Sie mir ganz einfach, was Sie wissen, und ich werde mein Möglichstes tun, um Ihren Namen aus der Sache herauszuhalten. Mehr kann ich Ihnen nicht anbieten. Die Alternative würde für mich ein paar Überstunden mehr bedeuten, für Sie aber sehr viel größere Komplikationen.«
»Sie bewegen sich hier in New Mexico außerhalb Ihres Zuständigkeitsbereichs«, sagte Melinda Waters. »Streng genommen verstoßen Sie gegen das Gesetz.«
»Streng genommen sind Sie immer noch eine wesentliche Zeugin, und soweit ich informiert bin, hat New Mexico die diplomatische n Beziehungen mit Kalifornien nicht abgebrochen.«
Waters warf noch einen Blick auf die Bilder ihrer Familie, nahm wieder am Schreibtisch Platz, setzte die Brille auf und murmelte: »Mist.«
Eine volle Minute lang saßen wir alle drei schweigend da, bevor sie wieder das Wort ergriff. »Das ist nicht fair«, sagte sie.
»Ich bin alles andere als stolz auf den Teenager, der ich damals war, und ich würde das alles ganz gerne vergessen.«
Ich sagte: »Wir waren alle mal Teenager.«
»Ja, aber ich war als Teenager wirklich das Letzte. Total verkorkst, ständig bekifft. Genau wie Janie. Das hat uns zusammengebracht. Unsere schlechten Angewohnheiten, mein Gott, ich glaube, es ist kein Tag vergangen, an dem wir uns nicht zugedröhnt haben. Und… noch andere Sachen, wenn ich nur daran denke, bekomme ich Migräne. Aber ich habe mich an den eigenen Haaren aus dem Sumpf gezogen, ja, genau genommen begann dieser Prozess an dem Tag, nachdem Janie und ich uns getrennt hatten.«
»Am Abend der Party?«
Waters griff wieder nach einem Füller, überlegte es sich anders und spielte mit einem Schubladengriff herum, sie hob den Messinggriff an und ließ ihn fallen, einmal, zweimal, dreimal.
»Heute habe ich selbst Kinder«, sagte sie. »Ich setze ihnen Grenzen, bin wahrscheinlich zu streng, weil ich weiß, wie es da draußen zugeht. Seit zehn Jahren habe ich nichts Härteres als Chardonnay angerührt. Ich liebe meinen Mann. Er ist sehr erfolgreich in seinem Beruf. Und meine Arbeit in der Kanzlei ist sehr befriedigend. Ich sehe nicht ein, dass all das bloß wegen der Fehler, die ich vor zwanzig Jahren gemacht habe, in Gefahr geraten soll.«
»Ich bin ganz Ihrer Meinung«, sagte Milo. »Ich mache mir keine Notizen, und nichts von alldem wird in irgendeiner Akte auftauchen. Ich will lediglich wissen, was an jenem Freitagabend mit Janie passiert ist. Und alles, was Sie mir sonst noch über den Mann sagen können, der Janie in Downtown vergewaltigt hat.«
»Ich habe Ihnen alles gesagt, was ich über ihn weiß.«
»Jung, attraktiv, mit einem tollen Schlitten.«
»Der Wagen könnte Janies Fantasie entsprungen sein.«
»Wie jung?«
»Das hat sie nicht gesagt.«
»Rasse?«
»Ich nehme an, er war weiß, weil Janie nichts Gegenteiliges erwähnt hat. Und sie hätte es gesagt, wenn es anders gewesen wäre. Sie war nämlich eine ziemliche Rassistin, das hatte sie von ihrem Vater.«
»Sonstige Einzelheiten zu seinem Aussehen?«
»Nein.«
»Ein schicker Wagen«, sagte Milo. »Welche Marke?«
»Ich glaube, sie sagte, es sei ein Jaguar gewesen, aber da bin ich mir nicht sicher. Mit Pelz-Fußmatten, daran erinnere ich mich noch, weil Janie erzählte, wie ihre Füße darin versunken seien. Aber bei Janie konnte man nie so recht wissen. Das versuche ich Ihnen ja klarzumachen: Sie hat ständig fantasiert.«
»Worüber?«
»Meistens darüber, wie sie sich zudröhnen und mit irgendwelc hen Rockstars abfeiern würde.«
»Ist das jemals passiert?«
Sie lachte. »Kaum. Janie war doch nur ein
Weitere Kostenlose Bücher