Das Buch der Toten
ungutes Gefühl bei dieser Party, vor allem, als sie dann mitten in dem Trubel plötzlich verschwunden war. Ich habe sie nie ganz vergessen. Jahre später, als ich auf dem College war und gelernt hatte, wie man einen Computer bedient, versuchte ich sie ausfindig zu machen. Und später, als ich Jura studierte und Zugang zu den entsprechenden Datenbanken hatte, da habe ich alle möglichen kommunalen Archive angezapft, sowohl in Kalifornien als auch in den angrenzenden Staaten.
Grundbucheinträge, Steuerdateien, Sterberegister. Aber sie war nirgendwo zu finden.«
Sie nahm Milos Karte vom Schreibtisch. »Mordkommission L. A., das heißt, dass sie in L. A. ermordet wurde. Warum ist sie dann nie im dortigen Sterberegister eingetragen worden?«
»Gute Frage, Ma'am.«
»Oh«, sagte Waters. Sie lehnte sich zurück. »Das ist nicht einfach ein wieder aufgenommener Fall, habe ich Recht? Da ist irgendetwas ziemlich faul.«
Milo zuckte die Schultern.
»Na toll. Fantastisch. Diese Sache wird mich mit sich reißen und mich fertig machen, ganz gleich, was ich tue, nicht wahr?«
»Ich werde mein Bestes tun, um das zu verhindern, Ma'am.«
»Sie klingen fast so, als meinten Sie es ernst.« Sie rieb sich die Stirn, nahm eine Flasche mit Kopfschmerztabletten aus der Schreibtischschublade und schluckte eine davon trocken herunter. »Was wollen Sie sonst noch von mir?«
»Die Party«, sagte Milo. »Fangen wir mal damit an, wie Sie und Janie überhaupt davon erfahren haben.«
»Auf der Straße, Mundpropaganda unter Jugendlichen. Davon gab es immer jede Menge, besonders wenn das Wochenende näher rückte. Alle wollten rausfinden, wo man am besten abfeiern könnte. Es gab so viele unter uns, die alles getan hätten, um nur nicht in ihren verhassten Elternhäusern versauern zu müssen. Janie und ich, wir waren ein Team, was Partys betraf. Manchmal landeten wir bei so genannten Squat-Raves: Partys, bei denen die Veranstalter leer stehende Gebäude zweckentfremdeten oder einen Platz im Freien besetzten, vielleicht eine abgelegene Ecke im Griffith Park oder auf dem Hansen-Dam-Gelände. Das Unterhaltungsangebot war bei diesen Veranstaltungen minimal, müssen Sie wissen: irgendeine musikalisch völlig unbedarfte Band, die umsonst auftrat, billiges Knabberzeug und jede Menge Drogen. Hauptsächlich jede Menge Drogen, denn die Veranstalter waren eigentlich Dealer, und ihnen ging es in erster Linie darum, möglichst viel zu verkaufen. Es gab aber auch richtige Partys, bei irgend jemandem zu Hause. Offen für alle und wenn nicht, dann war es normalerweise auch kein Problem, sich einfach selbst einzuladen.« Sie lächelte. »Ab und zu wurden wir auch mal rausgeschmissen, aber als Mädchen konnte man fast immer problemlos ohne Einladung aufkreuzen.«
»Und die Party an dem besagten Abend war eine von dieser Sorte«, sagte Milo. »In einem Privathaus.«
»In einem großen Privathaus, einer Villa, und auf der Straße erzählte man sich, dass es dort haufenweise Drogen geben würde. Janie und ich wollten uns das nicht entgehen lassen. Für uns war ein Trip nach Bel Air wie ein Flug zu einem anderen Planeten. Janie redete von nichts anderem als von Partys mit reichen Kids und davon, dass sie vielleicht einen reichen Jungen aufreißen könnte, der ihr so viel Stoff geben würde, wie sie nur wollte. Wie ich schon sagte, sie hat gerne fantasiert. Dabei waren wir in Wirklichkeit einfach nur Loser, kein Auto, keine Kohle. Also taten wir, was wir immer taten: Wir fuhren per Anhalter. Wir hatten noch nicht einmal eine Adresse; wir dachten uns, wenn wir einmal in Bel Air wären, würden wir sie schon irgendwie rauskriegen. Ich holte Janie am Freitagnachmittag zu Hause ab, und dann trieben wir uns bis zum Abend auf dem Hollywood Boulevard rum, wir klapperten die Spielautomaten ab, klauten ein paar Kosmetikartikel und versuchten, uns das nötige Kleingeld zusammenzuschnorren, aber ohne großen Erfolg. Als es dunkel war, gingen wir zum Sunset zurück, wo die besten Stellen zum Trampen waren, aber an der ersten Ecke, wo wir es versuchten, standen ein paar Nutten herum, und die drohten, dass sie uns den Hintern aufschlitzen würden, also gingen wir ein Stück weiter nach Westen, zwischen La Brea und Fairfax, wo die Gitarrenläden sind. Daran erinnere ich mich noch, denn während wir dort warteten, sahen wir uns die Gitarren in den Schaufenstern an, und wir redeten davon, wie cool es doch wäre, eine Girlgroup zu gründen und stinkreich zu werden. Dass wir
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