Das Buch der Toten
ein richtiges Schmuckkästlein, alles war sorgfältigst arrangiert.
»Und Sie dachten die ganze Zeit, ich könnte auch… wie sonderbar.« Ein schwaches Lächeln. »Jetzt bin ich also von den Toten auferstanden, wie?«
Der Füllfederhalter rutschte ab und fiel klappernd auf die Tischplatte. Sie griff blitzschnell danach und stellte ihn in das Glas zurück.
»Ma'am, wenn Sie uns bitte alles sagen würden, was Ihnen von dem betreffenden Abend noch in Erinnerung ist.«
»Ich habe durchaus versucht, Janie zu finden. Ich habe ihren Vater angerufen, haben Sie ihn kennen gelernt?«
»Er ist auch tot, Ma'am.«
»Wie ist er umgekommen?«
»Bei einem Autounfall.«
»War er betrunken?«
»Ja.«
»Das überrascht mich nicht«, sagte Waters. »Der Kerl war wirklich das Letzte, ständig voll bis obenhin. Er konnte mich nicht ausstehen, aber das beruhte auf Gegenseitigkeit. Wahrscheinlich, weil ich wusste, dass er mich betatschen würde, wenn man ihm nur die Chance gäbe, weshalb ich ihm nie eine gegeben habe, ich habe immer darauf bestanden, mich mit Janie vor dem Haus zu treffen.«
»Er hat sich an Sie rangemacht?«, fragte Milo.
»Ich habe ihm nie Gelegenheit dazu gegeben, aber seine Absichten waren unverkennbar, diese anzüglichen Blicke; er hat mich regelrecht mit den Augen ausgezogen. Und außerdem wusste ich, was er Janie angetan hatte.«
»Hat er sie missbraucht?«
»Nur wenn er betrunken war«, entgegnete Waters in einem parodistischen Singsang. »Sie ha t es mir erst gesagt, kurz bevor sie… bevor ich sie das letzte Mal gesehen habe. Ich glaube, was sie dazu gebracht hat, sich mir anzuvertrauen, war ein schlimmes Erlebnis, das sie ungefähr einen Monat vorher gehabt hatte. Sie war beim Trampen von irgendeinem Perversen mitgenommen worden, der sie in ein Hotel in Downtown brachte, wo er sie ans Bett fesselte und sich an ihr verging. Als sie mir davon erzählte, schien sie anfänglich gar nicht sonderlich betroffen, im Gegenteil, sie klang fast ein bisschen ge langweilt; und zuerst wollte ich es ihr auch gar nicht glauben, denn Janie hat immer gerne irgendwelche Geschichten erfunden. Aber dann zog sie ihre Ärmel und Hosenbeine hoch und zeigte mir die Spuren des Seils, mit dem er sie an Hand und Fußgelenken gefesselt hatte. Und auch am Hals. Als ich das sah, sagte ich:
›Du liebe Güte, er hätte dich erwürgen können.‹ Und da hat sie einfach dichtgemacht und sich geweigert, noch irgendetwas darüber zu sagen.«
»Was hat sie Ihnen über den Mann gesagt, der das getan hatte?«
»Sie sagte, er sei jung und attraktiv gewesen und habe einen tollen Schlitten gehabt, das war angeblich der Grund, weshalb sie zu ihm eingestiegen war. Aber um die Wahrheit zu sagen, sie wäre wahrscheinlich mit jedem mitgegangen. Janie war ziemlich oft vollkommen weggetreten, entweder bekifft oder betrunken. Sie hatte so gut wie keine Hemmungen.«
Waters nahm die Brille erneut ab, spielte mit den Bügeln, und ihr Blick streifte die Fotos ihrer Familie. »Was bin ich nur für eine Anwältin, dass ich hier aus dem Nähkästchen plaudere. Bevor wir weitermachen, brauche ich Ihre Zusicherung, dass alles, was ich Ihnen sage, vertraulich behandelt wird. Mein Mann ist sozusagen eine Figur des öffentlichen Lebens.«
»Was macht er denn beruflich?«
»Jim ist Berater des Gouverneurs, zuständig für die Zusammenarbeit mit dem Straßenverkehrsamt. Ich habe meinen Mädchennamen für die Arbeit behalten, aber es wäre trotzdem denkbar, dass so eine unerfreuliche Geschichte auf ihn abfärbt.«
»Ich werde mein Bestes tun, Ma'am.«
Waters schüttelte den Kopf. »Das reicht nicht.« Sie stand auf.
»Ich fürchte, unser Gespräch ist hiermit beendet.«
Milo schlug die Beine übereinander. »Ms. Waters, wir sind nur hier, weil wir Sie über Ihre Erinnerungen an Janie Ingalls befragen wollen. Wir sind nie davon ausgegangen, dass Sie selbst in irgendwelche Straftaten verwickelt waren.«
»Das will ich auch meinen, dass Sie davon nicht ausgegangen sind.« Waters fuchtelte mit dem Zeigefinger. »Daran hatte ich nicht im Entferntesten gedacht! Aber was mit Janie vor zwanzig Jahren passiert ist, das ist nicht mein Problem. Mein Problem ist vielmehr der Schutz meiner Privatsphäre. Und jetzt gehen Sie bitte.«
»Ms. Waters, Sie wissen genau so gut wie ich, dass ich Ihnen keine Vertraulichkeit garantieren kann. Das is t Sache der Staatsanwaltschaft. Ich spiele mit offenen Karten, und ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie das Gleiche täten. Wenn
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