Das Buch der Toten
Bekanntschaft mit Kuhmist gemacht hatten.
Wir erreichten die zentrale Plaza, einen grünen, von Bäumen beschatteten Platz mit einem Musikpavillon in der Mitte, umringt von niedrigen Ladengeschäften, und fuhren an einem überdachten Durchgang vor dem alten Gouverneurspalast vorüber, wo etwa zwei Dutzend Indianer in Daunen Jacken vor ihren Wolldecken voller Silberschmuck hockten. Auf der anderen Seite des Platzes erhob sich ein massiver Feldsteinbau, der eher europäisch als amerikanisch wirkte. Noch mehr Restaurants und Galerien, ein paar Luxushotels, und plötzlich war der Paseo de Peralta zu Ende.
»Sehr nett«, meinte Milo, »aber du fährst im Kreis.«
An der Washington Avenue erblickte ich im Schatten eines lachsfarbenen Freimaurertempels ein weißhaariges Paar mit identischen Shearling-Jacken und einem Bobtail an der Leine, der aussah, als hätte er das Futter für die Jacken geliefert. Ich fragte die beiden nach dem Weg. Der Mann trug eine karierte Mütze, die Frau hatte ihr langes Haar zu Zöpfen geflochten und mit silbernen Schmetterlingen geschmückt. Sie trug die Art von Makeup, die suggerieren soll, dass man überhaupt kein Makeup trägt, hatte viele kleine Fältchen um die Augen und ein natürliches Lächeln. Als ich ihr die Adresse zeigte, kicherte sie vergnügt.
»Sie suchen den nördlichen Teil des Paseo de Peralta, der macht nämlich an der Plaza einen Bogen. Herb, wo ist das genau?«
Der Mann teilte ihre Erheiterung. Wenigstens hatte ich zwei Menschen glücklich gemacht. »Gleich dort drüben, mein Freund, in diesem Häuserblock.«
Melinda Waters' Rechtsanwaltskanzlei war eine von acht Parteien in einem sandfarbenen Adobegebäude, das an eine italienische Taverna angrenzte. Aus dem Schornstein des Restaurants quollen Bilderbuchwölkchen, und durch die Tür drangen Essensdüfte, die mir das Wasser im Mund zusammenlaufen ließen. Aber dann dachte ich daran, weshalb wir hier waren, und mein Appetit verlagerte sich auf andere Dinge. Die Büros gingen auf einen großen, offenen Parkplatz hinaus, der von einer hohen Böschung und einer dichten Baumgruppe begrenzt war, sodass es schien, als endete das Grundstück und die Stadt überhaupt, an einem Waldrand. Wir stellten den Wagen ab und stiegen aus. Die Luft war eisig und perfekt.
Jedes Büro hatte seinen eigenen Eingang. Holzbrettchen an einem Pfosten dienten als Wegweiser. Vier weitere Anwaltskanzleien, ein Psychotherapeut, eine Praxis für therapeutische Massagen, ein Antiquariat und eine Galerie mit Kunstdrucken. Wie weit war Ojai?
Melinda Waters' Tür war nicht verschlossen, und im Wartezimmer duftete es nach Räucherstäbchen. Um einen chinesischen Schwarzholztisch herum waren große Sessel mit rost und bordeauxrotem Chenillebezug und Fransenkissen gruppiert. Auf dem Tisch lagen Kunstbände und elegante Hochglanzmagazine neben einer Messingschüssel mit Bonbons und Strohkörben mit Duftsträußchen. Würde irgendetwas davon den Schmerz der von Bankrott und Zwangsräumung Betroffenen lindern?
Die rückwärtige Tür wurde von einem alten Schreibtisch aus Eichenholz blockiert, an dem eine etwa dreißigjährige Indianerin mit rundlichem Gesicht saß und auf einem schiefergrauen Laptop tippte. Sie trug ein pinkfarbenes Sweatshirt, und von ihren Ohren baumelten große goldene Ohrringe, ein geometrisches Design mit scharfen Kanten, mehr New York als New Mexico. Als wir an ihren Schreibtisch traten, blickte sie auf, musterte uns gleichgültig und tippte weiter.
»Was kann ich für Sie tun?«
»Ist Ms. Waters zu sprechen?«
»Haben Sie einen Termin?«
»Nein, Ma'am«, sagte Milo und zeigte ihr seine Karte.
»L. A.«, sagte die Sekretärin. »Die Polizei. Sie sind den ganzen weiten Weg gekommen, um mit Mel zu sprechen.«
»Ja, Ma'am.«
Sie überflog die Karte. »Mordkommission.« Keine Überraschung. Keine Veränderung im Tonfall. Sie griff nach dem Telefonhörer.
Melinda Waters war etwas über einssechzig, untersetzt und kurvenreich, und sie trug einen moosgrünen Hosenanzug, der vor den rotbraunen Ledereinbänden der Gesetzestexte im Regal hinter ihr noch grüner aussah. Ihre Augen waren von hellerem Grün mit grauem Rand, ihr Haar honigblond, kurz geschnitten und nach hinten geföhnt. Das Gesicht war wohlgeformt und wirkte durch die vollen Lippen und die Ansätze eines Doppelkinns sehr weich. Die große Brille mit runden Gläsern und Schildpattgestell hatte genau die richtigen Proportionen für die lange, schmale Nase, auf der sie saß.
Weitere Kostenlose Bücher