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Das Buch der Toten

Das Buch der Toten

Titel: Das Buch der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Kellerman
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Beschlüssen der Kommission widersetzt hatte. In dieser Hinsicht dachte der Chef immer noch wie ein Polizist: Zivilisten, die sich in Polizeiangelegenheiten einmischten, waren der eigentliche Feind. Aber mit seinem dominanten Wesen hatte er sich die falschen Leute zu Gegnern gemacht, und inzwischen konnten ihm auch seine alten Kumpels, wie der Bürgermeister und Walt Obey, nicht mehr helfen.
    Andererseits jedoch machte es Broussard vielleicht gar nichts aus, seinen Job zu verlieren, weil schon etwas viel Interessanteres auf ihn wartete.
    Vielleicht dachte er daran, seine unbezahlte Tätigkeit als Sicherheitsberater für Obeys Esperanza-Projekt in einen einträglichen Führungsposten umzufunktionieren, der seinen Status langfristig sichern und ihm genug Geld einbringen würde, um seine Frau mit Cadillacs und allem, worauf sie sonst noch so stand, zu versorgen.
    Wenn das der Fall war, was hatte dann Obey selbst von dem Deal? Die Beteiligung der Cossacks als Geldgeber passte hundertprozentig. Sie schuldeten Broussard einen Riesengefallen, weil er den Ingalls-Mord unter den Teppich gekehrt hatte, und würden brav mit dem Strom schwimmen. War es möglich, dass Alex mit seiner Vermutung richtig lag, wonach Obey sich in finanzielle Schwierigkeiten manövriert hatte und die Brüder als Retter in der Not brauchte?
    Wie man es auch drehte und wendete, Milo wusste, dass er nur eine kleine Laus war, ständig in Gefahr, zerquetscht zu werden. Aber egal, Bequemlichkeit und Sicherheit waren etwas für Waschlappen und Feiglinge.
    Er betrat die Eingangshalle der Mission. Der Raum mit der gewölbten Decke war zu einem Fernsehzimmer umfunktioniert worden, in dem etwa ein Dutzend Obdachlose zusammengesunken auf Klappstühlen saßen und einen Großbildschirm anstarrten, auf dem gerade ein Spielfilm lief.
    Die Schauspieler hatten lange Haare und Barte und liefen in kamelfarbenen Gewändern durch eine Wüste, die stark an Palm Springs erinnerte. Daran konnten auch die echten Kamele nichts ändern. Irgendeiner dieser Bibelschinken, die den Zuschauern die Israeliten als blonde, blauäugige Hünen verkaufen wollten. Milo wandte seine Aufmerksamkeit dem Empfangstresen zu, möglicherweise derselbe Tresen, an dem Vance Coury den Schlüssel zu seiner Lasterhöhle entgegengenommen hatte. Jetzt standen darauf mehrere Keksdosen aus Plastik mit Schraubverschluss, und das Bücherregal dahinter war randvoll mit Bibeln in rotem Einband mit einem Kreuz auf dem Rücken. Linker Hand waren zwei braun gestrichene Aufzugstüren zu sehen. Eine Treppe mit Metallgeländer führte ein Stück weit gerade nach oben und machte dann eine scharfe Biegung nach rechts.
    Es roch nach Suppe. Warum roch es an Orten, wo man sich dem Seelenheil der Menschen widmete, fast immer nach Suppe?
    Ein alter, dunkelhäutiger Mann, der ein bisschen gepflegter aussah als die anderen, erhob sich von seinem Stuhl und kam herbeigehumpelt. »Ich bin Edgar. Was kann ich für Sie tun, Sir?«
    Eine mächtige Bassstimme, aber sie kam aus dem Mund eines kleinen, O-beinigen Kerlchens, das mit gebügelten Khakihosen, einem bis zum Hals zugeknöpften blaugrau karierten Hemd und Turnschuhen bekleidet war. Bis auf ein wenig krause weiße Wolle über den Ohren war er völlig kahl. Strahlend weißes Gebiss für ein strahlendes Lächeln. Der Gesamteindruck war der eines gutmütigen Clowns.
    Milo sagte: »Sind Reverend Fred oder Reverend Glenda zu sprechen?«
    »Reverend Fred ist in der City of Orange Mission, aber Reverend Glenda ist oben. Wen darf ich melden?«
    Der Mann drückte sich sehr kultiviert aus und hatte leuchtende, kluge Augen. Milo konnte ihn sich gut als Butler in einem feinen Club vorstellen, wie er den Reichen mit tadelloser Grammatik Honig ums Maul schmierte. Mit einer anderen Hautfarbe hätte er sich vielleicht selbst bedienen lassen können.
    »Milo Sturgis.«
    »Und worum handelt es sich, Mr. Sturgis?«
    »Eine Privatangelegenheit.«
    Der alte Mann sah ihn mitleidig an. »Einen Augenblick bitte, Mr. Sturgis.« Er erklomm langsam die Stufen und kam nach einigen Minuten zurück. »Reverend Glenda erwartet Sie, Mr. Sturgis. Die Treppe hoch, zweite Tür rechts.«
    Glenda Stephenson saß an einem kleinen Schreibtisch aus Eichenholz in einem winzigen, fast kahlen Büro mit einem uralten Heizkörper an der Wand und vergilbten Jalousien am Fenster. Sie sah noch haargenau so aus wie vor zehn Jahren. Zwanzig Kilo Übergewicht, viel zu viel Makeup, zu einer wallenden Zuckerschnecke

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