Das Buch der Toten
unbekannte Wagen am Straßenrand nichts Außergewöhnliches war. Aber heute hatte er sich mit Adrenalin anstatt mit Wodka gedopt, und ihm entging nichts. Und als der blaue Saab an ihm vorüberschoss und er für einen Sekundenbruchteil das Konterfei des Fahrers auf die Netzhaut bekam, wusste er, dass er dem, was sein Instinkt ihm zuflüsterte, nachgehen musste.
Er verlangsamte die Fahrt und sah im Rückspiegel, wie der Saab in die Rosewood einbog und verschwand. Dann wendete er zügig und machte sich an die Verfolgung.
Zum Glück hatte Milo sich auf dem Rückweg wieder einen neuen Mietwagen besorgt. Der graue Dodge Polaris hatte eingedellte Stoßstangen und jede Menge schlecht kaschierte Kratzer an seinem ramponierten Chassis. Aber mit seinen enormen Kraftreserven und den Fensterscheiben, deren Tönung das erlaubte Maß bei weitem überschritt, war er genau das, was er jetzt brauchte. Für den hier hatte er Budget und Avis und Hertz links liegen lassen und sich vertrauensvoll an einen Händler gewandt, der an der Ecke Sawtelle und Olympic einen ganzen Schrottplatz voll solcher Kisten hatte. Preiswerte fahrbare Untersätze für Typen mit Igelfrisuren und schwarzen Jacketts mit schmalem Revers, aufstrebende Mimen und Drehbuchschreiber und Möchtegern-Dotcom-Fantastillionäre, die es ausgesprochen schick fanden, mit einem möglichst altmodischen und hässlichen Gefährt durch L. A. zu tuckern.
Milo trat kräftig aufs Gaspedal, und der Polaris reagierte sofort und legte einen netten kleinen knochendurchrüttelnden Sprint hin. Er nahm den gleichen Weg wie der Saab, achtete aber darauf, ihm nicht zu nahe zu kommen, als er ihn erspähte, wie er auf dem San Vicente nach Norden abbog. Die nicht übermäßig stark verstopften Straßen erlaubten es ihm, sich fünf Autos hinter dem Saab einzuordnen und ab und zu ein bisschen nach links und rechts auszuscheren, um seine Beute nicht aus den Augen zu verlieren.
Soweit er erkennen konnte, war außer dem männlichen Wesen am Steuer niemand im Wagen. Jetzt war es an der Zeit zu überprüfen, ob ihn sein erster Eindruck nicht getrogen hatte. Der Saab ließ Melrose und Santa Monica hinter sich, bog am Sunset links ab und blieb im Stau stecken, weil die rechte Spur durch eine Reihe orangefarbener Kegel blockiert war.
Nur die Kegel, Arbeiter waren keine in Sicht. Das Straßenbauamt war in den Händen von Sadisten und Idioten, aber heute dankte Milo diesen Fieslingen aus ganzem Herzen, denn der Stau ermöglichte es ihm, nach rechts auszuscheren, einen Blick auf das Nummernschild des Saab zu werfen und die Nummer zu notieren. Es ging fünfzehn Meter weiter, dann war wieder Stillstand. Milo rief mit dem Handy die Zulassungsstelle an und erzählte irgendeine Lüge. Darin war er inzwischen schon richtig gut, mehr noch, es machte ihm Spaß.
Das Kennzeichen gehörte zu einem ein Jahr alten Saab, der auf einen gewis sen Craig Eiffel Bosc registriert war, Adresse: Huston Street in North Hollywood. Kein Haftbefehl, nicht vorbestraft.
Die Blechlawine rückte noch ein paar Meter vor, und Milo legte ein etwas gewagtes Manöver ein, mit dem er den Abstand zu dem Saab auf drei Autos verringerte. Noch dreimal Anfahren und Abbremsen, dann begann der Verkehr wieder langsam, aber stetig zu fließen, und nun war er neben dem Saab, überholte ihn rechts und hoffte dabei nur, dass das Objekt seines Interesses den Dodge nicht registrieren würde und wenn, dann würde das getönte Glas doch wohl verhindern, dass er ihn erkannte.
Noch eine halbe Sekunde und mehr brauchte er nicht. Mission erfüllt.
Das Gesicht hatte er in der Tat schon einmal gesehen. Mr. Smiley. Das Arschloch, das ihn in dem Hotdog-Laden angequatscht hatte und sich als Paris Bartlett vorgestellt hatte.
Craig Eiffel Bosc. Eiffel-Paris. Nett.
Bosc/Bartlett war schon etwas kniffliger, aber nach ein paar Sekunden kam er darauf: zwei Birnensorten.
Wie fantasievoll. Sollte zum Fernsehen gehen, der Mann. Bosc/Bartlett wippte mit dem Kopf im Takt zu irgendwelcher Musik, ohne im Geringsten auf seine Umgebung zu achten, und Milo beschleunigte, bis er zwei Längen vor dem Saab war. Den nächsten Ampelstopp nutzte er, um durch den Toyota hinter ihm hindurchzuspähen, in dem zwei flippige Mädchen ebenfalls zu irgendwelchen basslastigen Hiphop-Klängen mit den Köpfen wackelten. Er versuchte, noch einen Blick auf Craig Eiffel Bosc zu erhaschen, konnte aber nur die hyperaktiven Mädels und die reflektierende Windschutzscheibe des Toyota sehen. Dann
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