Das Buch der Toten
war einigermaßen transparent, sodass Milo dann und wann eine Bewegung ausmachen konnte.
Bosc ging zwischen den Zimmern hin und her. Und um neun Uhr füllte sich ein Fenster auf der rechten Seite plötzlich mit einem bläulichen Schein - der Fernseher.
Ein ruhiger Abend für den Meisterscha uspieler. Milo stieg aus, streckte seine steifen Glieder und ging über die Straße auf das Haus zu.
Milo klingelte, und Bosc machte sich noch nicht einmal die Mühe, »Wer ist da?« zu fragen, sondern riss einfach nur die Tür auf.
Der Mime hatte sich umgezogen und trug Khakishorts und ein enges schwarzes T-Shirt, das seine filmreife Figur gut zur Geltung brachte. In der einen Hand hielt er eine Flasche Coors Light, in der anderen eine Zigarette.
Entspannt und locker, die blutunterlaufenen Augen halb geschlossen. Bis er Milos Gesicht wiedererkannte und den wohlgeformten Mund aufriss.
Der Schauspieler reagierte auf die Störung nicht so, wie man es von einem Schauspieler oder irgendeinem normalen Bürger erwartet hätte. Er pflanzte sich breitbeinig vor Milo auf, und im nächsten Moment sauste die Bierflasche auf Milos Kinn zu, während das glühende Ende der Zigarette Kurs auf seine Augen nahm.
Sekundenschnelle Reaktion. Eine zackige kleine Nahkampfvorführung.
Milo war ein wenig überrascht, aber er hatte mit allem gerechnet und zog rasch den Kopf zurück. Der Tritt, mit dem er die Stelle zwischen Boscs Beinen anvisierte, verfehlte sein Ziel nicht, ebenso wenig wie der Handkantenschlag in Boscs Nacken. Der Bursche ging zu Boden, wodurch sich jegliche weitere Diskussion erübrigte.
Bosc wand sich vor Schmerzen. Als er sich ein wenig beruhigt hatte und nicht mehr ganz so grün im Gesicht war, hatte Milo ihm schon längst hinter dem Rücken Handschellen angelegt und die Tür mit dem Fuß zugestoßen. Bosc rang nach Luft und Worten. Milo zog ihn am Kragen hoch und warf ihn auf die schwarze Ledercouch, die den größten Teil des Wohnzimmers einnahm. Die restliche Ausstattung bestand aus einem weißen Knautschsessel, einem riesigen Digital-Fernseher, teurem HiFi-Spielzeug und einem Poster mit Chromrahmen, das einen blutroten Lamborghini Countach zeigte.
Bosc lag auf dem Sofa und stöhnte. Er verdrehte die Augen und würgte, und Milo trat einen Schritt zurück, um der drohenden Fontäne auszuweichen. Aber Bosc schluckte nur ein-, zweimal krampfhaft, brachte seine Augen wieder in Normalstellung und sah zu Milo auf.
Und lächelte. Und lachte.
»Findest du das so komisch, Craig?«, fragte Milo.
Boscs Lippen bewegten sich ein wenig, und er versuchte angestrengt, die Worte über seine lächelnden Lippen zu bringen. Dicke Schweißperlen bildeten sich auf seiner Stirn und liefen an der fein geschnittenen Nase herab. Boscs Zunge schnellte hervor und fing einen Tropfen auf. Er lachte wieder. Spuckte Milo vor die Füße. Hustete und sagte: »Ja, allerdings. Du steckst bis zum Hals in der Scheiße.«
35
Ich raste den Highway 33 entlang. Der süße Grasduft, der mir in die Nase stieg, kündigte bereits Ojai an. Ich dachte an Bert Harrison, der seit Jahrzehnten hier lebte, Lichtjahre von L. A. entfernt. Und trotzdem hatte der alte Mann dem Schlimmsten, was diese Stadt zu bieten hatte, nicht entfliehen können.
Als ich mich der Ladenzeile näherte, zu der auch O'Neill & Chapin gehörte, nahm ich den Fuß ein wenig vom Gas. Die Fensterläden des Schreibwarengeschäfts waren immer noch verschlossen, und im Fenster des Celestial Café verkündete ein Schild: Geschlossen. Auf halbem Weg durch das Zentrum bog ich in die Straße ein, die zu Berts Grundstück führte, fuhr bis auf dreißig Meter an seine Einfahrt heran und parkte den Wagen im Schatten einer Gruppe von Eukalyptusbäumen.
Berts alter Kombi stand vor dem Haus, woraus ich aber nichts schließen konnte. Vielleicht war er schon nach Übersee aufgebrochen und hatte sich zum Flughafen fahren lassen. Oder seine Abreise stand unmittelbar bevo r, und ich würde ihn beim Packen antreffen.
Dritte Möglichkeit: Er hatte gelogen, als er mir von der Reise erzählt hatte, weil er mich von einem zweiten Besuch abhalten wollte. Ich bewunderte Bert, und ich war nicht erpicht darauf, meine Hypothesen zu überprüfen. Ich ging zurück zum Wagen und führ wieder auf den Highway. Jetzt wollte ich es endlich wissen und zwar aus erster Hand.
Das Tor zur Mecca-Ranch war geschlossen, aber nicht abgesperrt. Ich entriegelte es, fuhr hindurch und stieg noch einmal aus, um das Tor hinter mir zu
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