Das Buch der Toten
fragte Broussard.
»Ja. Es ist gut für die Psyche, wenn man sich mit den richtigen Leuten abgibt. Umgekehrt gilt das natürlich auch. muss eine ziemliche Belastung gewesen sein, Sie halten sich die ganze Zeit strikt an die Regeln, stecken die rassistischen Sauereien weg, klettern die Karriereleiter rauf, und Willie dröhnt sich unterdessen munter die Birne zu und verkauft Heroin. Jede Menge Potenzial für schlechte PR. Aber Sie taten trotzdem, was Sie konnten, um ihm zu helfen. Deswegen hat er nie lange im Gefängnis gesessen. Sie haben ihn mit Boris Nemerov zusammengebracht, haben ihm wahrscheinlich auch das Bargeld für die Kautionen gestellt. Und anfangs ließ er Nemerov ja auch nicht hängen und sorgte dafür, dass Ihr Image nichts abbekam.«
Broussard zeigte weiterhin keine Regung.
Milo sagte: »Muss ziemlich stressig gewesen sein, mit einem polizeibekannten Kriminellen unter einer Decke zu stecken.«
»Ich habe nie das Gesetz gebrochen.« Jetzt war es an Milo, zu schweigen.
Broussard sagte: »Das Gesetz lässt immer einen gewissen Spielraum, Detective. Ja, ich habe ihn unterstützt. Meine Frau vergötterte ihn, sie hatte ihn noch als süßen kleinen Fratz in Erinnerung. Für die ganze Familie war er immer noch der süße kleine Fratz. Außer mir schien niemand sehen zu wollen, dass er sich inzwischen in einen hartgesottenen Junkie verwandelt hatte. Vielleicht hätte ich es schon eher erkennen müssen. Oder ihn früher mit den Folgen seines Handelns konfrontieren sollen.«
Die Haltung des Chefs entspannte sich ein wenig. Der Scheißkerl ließ doch tatsächlich die Schultern hängen.
Milo sagte: »Und dann wurden Willies Probleme plötzlich massiv. Er wurde Zeuge eines ziemlich abscheulichen Mordes, begann unter Verfolgungswahn zu leiden und erzählte Ihnen, dass man ihm die Sache in die Schuhe schieben wollte.«
»Das war kein Verfolgungswahn«, sagte Broussard. »Das waren begründete Befürchtungen.« Er lächelte kalt. »Ein schwarzer Junkie mit krimineller Vergangenheit gegen eine Bande von reichen weißen Jugendlichen? Niemand hatte vor, Willie vor Gericht zu stellen. Der Plan war, Gerüchte in die Welt zu setzen, gefälschte Beweise zu fabrizieren, Willie irgendwo an einer Überdosis verrecken zu lassen, der Polizei anonym einen Tipp zuzuspielen und den Fall so abzuschließen.«
»Willie ließ Boris also hängen, aber Sie zahlten Boris aus. Dann setzten Sie Poulsenn auf den Fall an; er sollte verhindern, dass irgendetwas nach außen drang oder außer Kontrolle geriet, und außerdem auf Willie und seine Freundin aufpassen.«
»Das war nur vorübergehend. Wir mussten uns neu formieren und alle Möglichkeiten durchspielen.«
»Aber die Jagd nach den wirklichen Mördern gehörte nicht zu diesen Möglichkeiten«, sagte Milo. Die Empörung in seiner Stimme überraschte ihn selbst. »Vielleicht hätten Schwinn und ich den Fall nicht gelöst. Aber vielleicht hätten wir es ja tatsächlich geschafft. Das werden wir nie wissen, nicht wahr? Weil Sie eingeschritten sind und die ganze beschissene Ermittlung sabotiert haben. Und erzählen Sie mir bloß nicht, dass Sie es nur wegen Willie getan haben. Irgendjemand hat im Interesse dieser reichen Jugendlichen dafür gesorgt, dass die Sache vertuscht wurde. Jemand, auf den Sie hören mussten.«
Broussard fuhr herum und sah Milo in die Augen. »Sie scheinen ja sowieso schon alles zu wissen.«
»Eben nicht. Deshalb bin ich ja hier. Wer steckt dahinter? Walt Obey? Janie wurde von diesem Stück Scheiße, das sich ihr Vater nannte, auf den Strich geschickt und von zwei Generationen reicher Widerlinge missbraucht und wer ist reicher als der alte Walt? War es das, was die Ermittlung zum Scheitern verurteilte, John? Dass der nette, freundliche Kirchgänger Onkel Walt befürchten musste, sein unappetitliches Laster könnte ans Licht kommen?«
Broussards ebenholzfarbenes Gesicht zeigte keine Regung. Er starrte an Milo vorbei. Dann ließ er ein leises, grollendes Lachen hören.
»Freut mich, dass meine Ausführungen Sie so amüsieren, John«, sagte Milo. Seine Hände zitterten, und er ballte sie zu Fäusten.
»Ich werde Sie ein wenig aufklären, Detective, über einige Dinge, die Sie nicht verstehen. Ich habe sehr viel Zeit in der Gesellschaft reicher Leute verbracht, und es stimmt, was man so sagt: Die Reichen sind anders. Die kleinen alltäglichen Probleme des Lebens werden ihnen abgenommen, und niemand ist so kühn, ihnen irgendetwas zu verweigern. In den meisten
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