Das Buch der Toten
Freeway 10 in Richtung Osten und reihte sich mit einem Bilderbuch-Manöver in den Nachmittagsverkehr ein.
Auf dem Freeway war einiges los, aber es ging zügig voran, ideal für eine Verfolgung; Milo hatte keine Mühe, den Ford im Auge zu behalten, als dieser über die Downtown-Kreuzung hinaus auf dem 10er blieb und schließlich in East L. A. bei Soto abfuhr. Zum Leichenschauhaus?
Tatsächlich fuhr Broussard auf das blitzblanke, cremefarbene Gebäude am westlichen Rand des County-Hospital-Komplexes zu, aber anstatt irgendwo zwischen den Leichenwagen und Polizeiautos vor dem Haus zu parken, fuhr er weiter, bis er schließlich nach weiteren zwei Meilen an einer schmalen Straße namens San Elias stoppte. Er bog rechts ab und glitt mit dreißig Stundenkilometern durch ein Wohngebiet mit winzigen, von Maschendrahtzaun umschlossenen Bungalows.
Drei Häuserblocks, dann war die San Elias Street zu Ende. Der grüne Ford fuhr an den Straßenrand und hielt an.
Die Sackgasse endete an einem sechs Meter hohen schmiedeeisernen Doppeltor mit reichen Verzierungen, überragt von gotischen Spitzbogen. Am oberen Rand waren die Gitterstäbe zu Buchstaben geformt. Milo hatte einen ganzen Block Abstand gehalten und konnte die Schrift aus der Entfernung nicht entziffern.
John G. Broussard schaltete den Motor aus, stieg aus, schloss den Wagen ab und zupfte seine Anzugsjacke in Form.
Er war nicht für den Dienst gekleidet, der Chef hatte das Parker Center noch nie ohne Uniform betreten. Makellos sauber, mit messerscharfen Bügelfalten, die Brust mit Orden geschmückt. Bei feierlichen Anlässen trug er seine Dienstmütze. Hielt sich wohl für einen General, so war es von den Spöttern zu hören.
Heute trug Broussard einen marineblauen Anzug, der sich wie angegossen an seine sportliche Figur schmiegte, ein fernsehblaues Hemd und eine goldfarbene Krawatte, die noch auf einen Block Entfernung wie echtes Gold schimmerte. Seine perfekte Körperhaltung ließ den Chef noch größer wirken, als er tatsächlich war, während er nun mit militärischem Schritt auf das große Eisentor zuging. Als ob er eine Parade anführte. Broussard blieb stehen, öffnete das Tor und ging hindurch.
Milo wartete fünf Minuten und stieg dann ebenfalls aus. Er ging die Straße entlang, blickte dabei mehrmals über seine Schulter. Er war unruhig, konnte selbst nicht verstehen, wieso. Irgendetwas an Broussard…
Als er den halben Weg bis zu dem Tor zurückgelegt hatte, konnte er die Schrift entziffern.
Sacred Peace Memorial Park Ein Friedhof, in der Mitte geteilt durch einen langen, schnurgeraden Weg, gepflastert mit verwittertem, rosa und beige gemustertem Granit und gesäumt von einer bunt blühenden Buchsbaumhecke. Eine Einfriedung aus Chinesischem Wacholder umschloss den Park an drei Seiten wie mit hohen Mauern, auffallend grün unter einem mattgrauen Himmel. Orangenbäume waren keine zu sehen, aber Milo hätte schwören können, dass ihm der Duft von Orangenblüten in die Nase stieg.
Nach fünf oder sechs Metern stieß er auf die Statue eines milde lächelnden Christus, dann auf ein kleines Kalksteingebäude mit der Aufschrift »Verwaltung«, das von Rabatten mit bunten Stiefmütterchen gesäumt war. Eine Schubkarre versperrte den Weg zur Hälfte; ein alter Mexikaner in khakibrauner Arbeitskleidung und einem Tropenhelm stand über das Blumenbeet gebeugt. Er drehte sich kurz zu Milo um, hob die Hand grüßend an den Helm und wandte sich wieder seinem Unkraut zu.
Milo ging um die Schubkarre herum, erblickte die erste Grabreihe und ging daran vorbei.
Die Grabsteine waren alt, solide Steinmetzarbeit; manche ein wenig geneigt, der eine oder andere mit vertrockneten Blumen geschmückt. Milos Eltern waren in einer ganz anderen Umgebung begraben, auf einem riesigen Friedhof nicht weit von Indianapolis, einer modernen Totenvorstadt, umringt von Industrieparks und Einkaufszentren. Gebäude im Pseudo-Kolonialstil, so authentisch wie Disneyland, auf endlosen, sanft geschwungenen Rasenflächen, die einem Golfplatz alle Ehre gemacht hätten. Statt Grabsteinen gab es hier nur flach ins Rispengras eingebettete Messingtafeln, die man erst sehen konnte, wenn man direkt davor stand. Noch im Tod hatten Bernard und Martha Sturgis niemandem zu nahe treten wollen…
Diese Begräbnisstätte hingegen war bretteben, winzig und baumlos bis auf die Wacholder-Umrandung. Allenfalls ein Hektar Gesamtfläche. Und voll mit Grabsteinen, ein alter Friedhof. Verstecken konnte man sich hier
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