Das Buch der Toten
führende Experte auf dem Gebiet, aber ich habe dir schon mal die Abdrücke abgenommen, und diese Wirbel kommen mir bekannt vor.«
»Wer immer es geschickt hat, hat sich also die Mühe gemacht, es vorher abzuwischen«, sagte ich. »Interessant. So oder so.«
Er wusste genau, was ich meinte: ein vorsichtiger Polizist oder ein penibler, zynischer Killer.
»Wie auch immer«, sagte er. »Nacht-Nacht.«
»Träum süß.«
»Aber ja doch. Da kommt schon die Zuckerfee.«
13
Ich rechnete nicht damit, so bald wieder von ihm zu hören, aber am nächsten Morgen stand er um elf bei mir vor der Tür. Er trug eine marineblaue Windjacke, ein kariertes Hemd und alte Jeans. An der Hüfte beulte seine Dienstwaffe die Jacke aus, aber abgesehen davon sah er aus wie irgendein Typ, der gerade seinen freien Tag hat. Ich war noch im Bademantel. Robin hatte noch nicht wieder angerufen.
»Lust auf ein bisschen frische Luft?«, fragt e er. »Pferdemist? Oder alles zusammen?«
»Die zweite Mrs. Schwinn hat dich also zurückgerufen?«
»Nein, die zweite Mrs. Schwinn hat mich nicht zurückgerufen, aber ich dachte mir, was soll's, in Ojai ist's um diese Jahreszeit wirklich schön.«
Ein reflexartiges »Ah« lag mir auf der Zunge. Doch ich sagte nur: »Ich zieh mich rasch an.«
»Das wäre nicht schlecht.«
Er sagte: »Für längere Fahrten ist der Seville eigentlich besser«, und ich tat ihm den Gefallen. Kaum hatte ich den Motor angelassen, da legte er den Kopf in den Nacken, schloss die Augen, breitete ein Taschentuch darüber und ließ die Kinnlade herunterklappen. Die nächste Stunde verdöste er auf dem Beifahrersitz, wobei er immer wieder mal kurz die Augen aufschlug, um die Umgebung mit dem zugleich misstrauischen und staunenden Blick zu mustern, den Kinder und Cops gemeinsam haben.
Ich war auch nicht zum Plaudern aufgelegt und vertrieb mir die Zeit mit Musik. Alte Oscar-Aleman-Tracks aus seiner Zeit in Buenos Aires. Aleman ließ seine glockenhelle National-Steel-Guitar aus Nickelsilber aufheulen, dass es eine Wonne war. Um nach Oak View zu kommen, musste man auf dem Freeway 405 Richtung Norden fahren, dann auf dem 101 Richtung Ventura und anschließend noch ein Stück über den Highway 33. Nach der Ausfahrt noch zehn Meilen auf einer zweispurigen Straße, die sich durch rosiggraue Berge zog, und wir waren in Ojai. Die Feuchtigkeit des Ozeans hing in der Luft; der Himmel war über dem Horizont watteweiß und nahm in der Höhe, wo die Sonne zu vermuten war, eine schiefergraue Tönung an. Das gedämpfte Licht ließ das Grün stärker hervortreten, verwandelte alles in eine smaragdene Atomwüste.
Es war ein paar Jahre her, dass ich zuletzt hier gewesen war, damals hatte ich einen rachedurstigen Psychopathen gejagt und war dabei einem beeindruckenden Mann namens Wilbert Harrison begegnet. Ich hatte keine Ahnung, ob Harrison immer noch in Ojai wohnte. Er war Psychiater und Philosoph, war ein eher kontemplativer Typ, und angesichts der Gewalt, mit der er durch mich konfrontiert worden war, hätte ich es durchaus verstanden, wenn er von hier weggezogen wäre.
Die ersten paar Meilen des Highway 33 waren verschandelt durch Schlackehaufen, Bohrinseln, Reihe um Reihe von Spulen, die das Gewirr von Masten und Kabeln eines Elektrizitätswerks krönten wie überdimensionale Fusilli. Kurz darauf wurde die Landschaft waldig, die Gebäude heterogen in der für Ojai typischen Weise: hübsche kleine Blockhütten, umrahmt von makellosen Steinmauern und beschattet von Immergrünen Eichen und Kiefern, hübsche kleine Läden, die handgefertigte Kerzen und Duftwässerchen feilboten. Massagepraxen, Yoga-Institute, Schulen, in denen man Zeichnen, Malen oder Bildhauerei lernen konnte oder wie man den inneren Frieden fand, wenn man nur sein Bewusstsein für ihre Lehren öffnete. Seite an Seite mit alldem existierte die andere Seite des Kleinstadtlebens: rostige Wohnwagen hinter Stacheldrahtzäunen, Angelgeräteschuppen, aufgebockte LKWs, staubige Gehöfte mit ein, zwei hohlbäuchigen Kleppern, die im dürren Gras herumschnüffelten, primitive Plakate, die für getrocknetes Rindfleisch und hausgemachtes Chili warben, Mietställe und bescheidene Kultstätten für den konventionellen Gott. Und überall die Bussarde, riesige Vögel, die entspannt und unbeirrbar auf der Suche nach Beute ihre Kreise zogen.
Die Mecca Ranch lag links des Highway 33, angekündigt durch ein Schild aus einer Kiefernholzplatte mit angenagelten Eisenbuchstaben, das von Kakteen und
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