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Das Buch der Toten

Das Buch der Toten

Titel: Das Buch der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Kellerman
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wildem Gras umrankt war. Wir bogen in eine kaum befestigte, von kümmerlichen, spärlich blühenden Strelitzien gesäumte Straße ein, die uns etwa einen halben Kilometer weit durch leicht hügeliges Gelände führte, bis sie am höchsten Punkt in eine etwa einen Hektar große schotterfarbene Ebene mündete. Zur Rechten war mit Eisenpfosten und Querlatten aus Holz eine Koppel abgesteckt, mehr als groß genug für die fünf braunen Pferde, die dort grasten. Wohlgenährte Rösser mit glänzendem Fell. Sie schenkten uns keinerlei Beachtung. Gleich hinter der Einzäunung waren mehrere abgekoppelte Pferdeanhänger und eine Reihe von Boxen zu sehen. Am letzten Abschnitt der Straße waren die Strelitzien dichter gepflanzt und besser gepflegt, und die orangeblauen Blüten lenkten den Blick auf ein kleines, lachsfarbenes Haus mit Flachdach und blaugrünen Läden. Davor parkten ein zehn Jahre alter brauner Jeep Wagoneer und ein Dodge Pickup von gleicher Farbe und gleichem Jahrgang. Ein flüchtiger Schatten huschte über die Koppel hinweg, ein Bussard, der so niedrig kreiste, dass ich die präzise Krümmung seines Schnabels erkenne n konnte.
    Ich schaltete den Motor ab, stieg aus und sog den würzigen Kiefernduft und den scharfen, eigentümlich süßlichfauligen Geruch von getrocknetem Pferdemist ein. Totenstille. Ich konnte mir lebhaft vorstellen, dass Pierce Schwinn das hier für das Paradies gehalten hatte. Aber wenn er wie Milo und so viele andere süchtig nach dem Lärm und dem Laster der Großstadt gewesen war, dann musste man sich fragen, wie lange seine Begeisterung angehalten hatte.
    Milo schlug die Beifahrertür mit lautem Knall zu, wie um die Bewohner vorzuwarnen. Aber niemand kam heraus, um uns zu begrüßen, und kein Gesicht tauchte hinter den vorhanglosen Fenstern an der Frontseite des Hauses auf.
    Wir gingen zur Tür. Milo drückte auf die Klingel und löste damit ein fünfzehn Sekunden dauerndes Glockengeläut aus, irgendeine Melodie, die ich nicht identifizieren konnte, die aber Erinnerungen an Kaufhausfahrstühle drüben in Missouri in mir wachrief.
    Jetzt war von der Koppel her ein Geräusch zu hören: ein vereinzeltes Wiehern. Immer noch keine menschliche Reaktion. Der Bussard war weitergeflogen.
    Ich sah mir die Pferde genauer an. Muskulöse, mahagonifarbene Tiere, zwei Hengste und drei Stuten, mit glänzenden, sauber gebürsteten Mähnen. Über der Koppel spannte sich ein Bogen aus zusammengelöteten Eisenbuchstaben, die in leicht orientalisch angehauchter Schrift das Wort Mecca bildeten. In der Watteschicht am Himmel hatte sich eine blaues Dreieck geöffnet. Die Hügel rings um die Ranch waren dicht bewachsen und bildeten eine sanft geschwungene, natürliche Einhegung. Es war schwer vorstellbar, dass die Mordakte von diesem stillen, idyllischen Ort abgeschickt worden war.
    Milo klingelte wieder, und jetzt rief eine weibliche Stimme:
    »Sekunde!« Kurz darauf wurde die Tür geöffnet.
    Die Frau, die vor uns stand, war zierlich gebaut, jedoch mit kräftigen Schultern, und mochte zwischen fünfzig und sechzig Jahre alt sein. Sie trug ein königsblau und gelb kariertes Hemd, das in einer engen Jeans steckte, sodass der flache Bauch, die schlanke Taille und die knabenhaften Hüften betont wurden. Die Füße steckten in rissigen, aber sauberen Arbeitsstiefeln. Ihr weißes Haar, in dem noch Spuren der ursprünglichen blonden Farbe erkennbar waren, hatte sie zu einem schlichten Pferdeschwanz zurückgebunden; die freien Strähnen leicht nach außen gedreht. Ihre Gesichtszüge waren von einer Härte, die in ihrem fortgeschrittenen Alter durchaus attraktiv wirkte, doch als junges Mädchen war sie vermutlich keine Schönheit gewesen. Ihre Augenfarbe war eine Mischung aus grün und braun - nicht braun genug, um sie haselnussfarben nennen zu können. Sie hatte sich die Augenbrauen zu feinen Kommas gezupft, trug aber kein Makeup. Ihre Haut demonstrierte lebhaft, was permanente Sonneneinstrahlung so alles bewirken kann: Sie war runzlig rissig und zerfurcht; so rau, dass sie fast an Holz erinnerte. Unter den Augen und am Kinn war sie mit einigen bedenklich aussehend en dunklen Flecken gesprenkelt. Die Frau lächelte und ließ dabei das makellos weiße Gebiss einer kerngesunden jungen Frau erkennen.
    »Mrs. Schwinn?«, sagte Milo und griff nach seiner Dienstmarke.
    Bevor er sie aus der Tasche ziehen konnte, sagte die Frau: »Ich bin Marge, und ich weiß, wer Sie sind, Detective. Ich habe Ihre Nachrichten bekommen.« Keine

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