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Das Buch der Toten

Das Buch der Toten

Titel: Das Buch der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Kellerman
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Er hatte Talent, nicht wahr?«
    »Allerdings, Ma'am. Als ich ihn gekannt habe, hat er gerne wissenschaftliche Literatur gelesen.«
    »Tatsächlich? Also, davon habe ich nie etwas mitbekommen. Er ist eigentlich nur sehr nachdenklich geworden. Er konnte stundenlang im Wohnzimmer sitzen und die Aussicht genießen. Bis auf die Zeiten, wenn er diesen Cop-Blick bekam oder diese Träume hatte, war er immer ruhig und ausgeglichen. Neunundneunzig Prozent der Zeit war er so.«
    »Während des einen Prozents«, warf ich ein, »hat er da je erzählt, was ihn plagte?«
    »Nein, Sir.«
    »Wie war seine Stimmung während des letzten Monats vor seinem Unfall?«
    »Gut«, antwortete sie. Ihre Miene verfinsterte sich. »O nein, wenn Sie das denken, dann irren Sie sich. Es war ein Unfall. Pierce war kein guter Reiter, und er war achtundsechzig Jahre alt. Ich hätte ihn nicht so lange allein ausreiten lassen dürfen, auch nicht mit Akhbar.«
    »So lange?«
    »Er war einen halben Tag weg. Gewöhnlich ist er nur eine Stunde oder so geritten. Er hatte seine Nikon dabei; er sagte, er wolle noch ein wenig die Nachmittagssonne ausnutzen.«
    »Er wollte also fotografieren.«
    »Dazu ist er nicht mehr gekommen. Der Film in seiner Kamera war unbelichtet. Er muss gleich am Anfang gestürzt sein und eine ganze Weile dort gelegen haben. Ich hätte früher nach ihm suchen sollen. Der Arzt hat mir versichert, dass diese Kopfverletzung ihn auf der Stelle getötet haben muss. Wenigstens musste er nicht leiden.«
    »Hat sich den Kopf an einem Stein aufgeschlagen«, sagte Milo.
    Sie schüttelte den Kopf. »Ich möchte nicht mehr darüber reden.«
    »Tut mir Leid, Ma'am.« Milo trat näher an die Fotos an der Wand heran. »Die sind wirklich gut, Ma'am. Hat Pierce seine Dias oder Probeabzüge in Alben aufbewahrt?«
    Marge ging um das Bett herum zu dem Nachttisch auf der linken Seite. Darauf lag eine Damenarmbanduhr neben einem leeren Glas. Sie zog die Schublade auf, nahm zwei Alben heraus und legte sie auf das Bett. Zwei Alben mit blauem Ledereinband. Edles Saffianleder; Format und Design kamen mir bekannt vor. Keine Aufschrift. Marge schlug das eine auf und begann darin zu blättern. Fotos in steifen Plastikhüllen, befestigt mit schwarzen selbstklebenden Fotoecken.
    Grünes Gras, graue Felsen, braune Erde, blauer Himmel. Seite um Seite von Pierce Schwinns Traum einer unbelebten Welt.
    Milo und ich gaben bewundernde Kommentare ab. Das zweite, Album enthielt noch mehr von der gleichen Sorte. Er strich mit dem Finger über den Rücken des Albums. »Hübsches Leder.«
    »Ich habe sie für ihn gekauft.«
    »Wo?«, fragte Milo. »So eines hätte ich selbst auch gerne.«
    »O'Neill & Chapin, gleich unten an der Straße, beim Celestial CO, Sie führen Künstlerbedarf, alles Qualitätsartikel. Diese Alben kommen ursprünglich aus England; leider werden sie nicht mehr geliefert. Ich habe die letzten drei gekauft.«
    »Wo ist das dritte?«
    »Pierce ist nicht mehr dazu gekommen, Ach, wissen Sie was, ich könnte es doch Ihnen geben. Ich brauche es ja nicht und wenn ich nur an Pierce' unvollendete Arbeit denke, kommen mir schon die Tränen. Und Pierce hätte es gefallen, dass Sie es bekommen. Er hat viel von Ihnen gehalten.«
    »Also wirklich, Ma'am…«
    »Nein, ich bestehe darauf«, sagte Marge. Sie ging zu einem Wandschrank auf der anderen Seite des Zimmers, verschwand kurz darin und kam mit leeren Händen wieder heraus. »Ich hätte schwören können, dass ich es da drin gesehen habe, aber das ist schon eine Weile her. Vielleicht ist es woanders… kann sein, dass Pierce es mit in die Dunkelkammer genommen hat. Sehen wir mal nach.«
    Die zur Dunkelkammer umgebaute Toilette befand sich am Ende des Flurs. Zweieinhalb Quadratmeter, kein Fenster, der beißende Geruch von Chemikalien in der Luft, ein schmales Holzschränkchen neben dem Waschbecken. Marge zog die Schubladen auf, und sie sahen Kartons mit Fotopapier, ein Sortiment von Flaschen, aber kein blaues Lederalbum. Auch keine Dias oder Probeabzüge.
    Ich sagte: »Sieht aus, als hätte Pierce alles, was er hatte, eingeklebt.«
    »Scheint so«, meinte sie. »Aber dieses dritte Album, es war so teuer, wäre schade, wenn es einfach nur rumliegen würde. Es muss hier irgendwo sein. Wissen Sie was, wenn es noch auftaucht, schicke ich es Ihnen einfach zu. Wie ist Ihre Adresse?«
    Milo gab ihr seine Karte.
    »Mordkommission«, sagte sie. »Dieses Wort springt einen regelrecht an. Ich habe nie sehr viel über Pierce

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