Das Buch der Toten
Seidenmoden aus Indien hätte.
»Ich hätte wohl besser eine Nachricht hinterlassen sollen«, sagte das näselnde Mädchen am anderen Ende der Leitung, »aber die Inhaberin sieht es lieber, wenn wir die Kunden persönlich kontaktieren. Also, denken Sie, dass Robin Interesse haben könnte? Laut unseren Unterlagen hat sie letztes Jahr eine ganze Menge coole Klamotten gekauft.«
»Ich werde sie fragen, wenn ich das nächste Mal mit ihr spreche.«
»Oh, okay… Ich meine, Sie könnten auch selbst vorbeikommen. Vielleicht wollen Sie ihr ja was schenken? Wenn es ihr nicht gefällt, kann sie es zurückgeben und bekommt von uns einen Gutschein in voller Höhe. Frauen haben es gern, wenn man sie überrascht.«
»Wirklich?«
»Klar doch. Total.«
»Das werde ich mir merken.«
»Das sollten Sie echt tun. Frauen stehen voll drauf, wenn ihr Typ sie überrascht.«
»Zum Beispiel mit einer Reise nach Paris«, sagte ich.
»Paris?« Sie lachte. »Damit können Sie mich überraschen, verraten Sie aber Robin nicht, dass ich das gesagt habe, okay?«
Um vier Uhr trat ich durch die Küchentür hinaus auf die hintere Terrasse, ging durch den Garten zu Robins Atelier, schloss die Tür auf und betrat den kühlen Raum mit der gewölbten Decke, ging auf und ab und atmete den Duft von Sägemehl, Holzlack und Chanel Nr. 19 ein und lauschte auf den Klang meiner Schritte. Sie hatte den Fußboden sauber gekehrt, ihr Werkzeug verstaut, alles an seinen Platz getan. Die Nachmittagssonne strömte durch die Fenster herein. Ein wunderschöner Raum, perfekt aufgeräumt. Ich kam mir vor wie in einer Krypta.
Ich ging ins Haus zurück und überflog die Morgenzeitung. Die Welt war noch mehr oder weniger dieselbe, wieso fühlte ich mich dann so anders? Um halb fünf duschte ich und zog frische Sachen an, blauer Blazer, weißes Hemd, saubere Bluejeans, braune Wildleder-Halbschuhe. Um zehn nach fünf betrat ich das Café Maurice.
Das Restaurant war klein und dunkel und bestand aus einer Theke mit Kupferoberfläche und einem halben Dutzend Tischen mit weißen Leinentischdecken. Die Wände waren mit Walnussholz vertäfelt, die Decke mit getriebenem Weißblech verkleidet. Die dezente Musik aus dem Lautsprecher mischte sich mit der gedämpften Unterhaltung dreier Ober in weißen Schürzen, jeder von ihnen alt genug, um mein Vater sein zu können. Ich musste unwillkürlich an das Bistro in der Rive Gauche denken, wo Robin mir von ihren Plänen erzählt hatte.
Ich knöpfte meine Jacke zu und ließ meinen Augen Zeit, sich an die neue Umgebung zu gewöhnen. Der einzige Gast war eine dunkelhaarige Frau an einem Tisch in der Mitte des Raumes, die in ein Glas Burgunder starrte. Sie trug eine maßgeschneiderte whiskeyfarbene Tweedjacke und eine cremefarbene Seidenbluse, einen langen, hellbeigen Rock mit Schlitz an der Seite, dazu beige Kalbslederstiefel mit massiven Absätzen. Auf dem Stuhl neben ihr stand eine große Ledertasche. Als ich auf sie zuging, blickte sie auf und lächelte zaghaft.
»Dr. Gwynn? Alex Delaware.«
»Allison.« Sie stellte ihre Tasche auf den Boden und streckte eine schlanke weiße Hand aus. Ich schüttelte sie und nahm Platz. Sie war eine schlanke Schönheit, wie aus einem Gemälde von John Singer Sargent. Elfenbeinteint, sanft geformte, aber prononcierte Wangenknochen, betont durch einen Anflug von Röte; breiter, starker Mund, korallenfarbener Lippenstift. Ihre riesigen, tiefblauen Augen, hervorgehoben mit klug dosiertem Eyeliner und überwölbt von kräftigen, geschwungenen Augenbrauen, musterten mich intensiv. Kein aufdringliches Starren, sondern ein warmer Blick, der echtes Interesse vermittelte. Ihre Patienten würden das zu schätzen wissen. Ihr Haar war eine glatte Fläche von natürlichem Schwarz und reichte ihr fast bis zur Taille. Ein Handgelenk war von einem Diamantarmband umschlossen, an dem anderen prangte eine goldene Uhr. Barockperlen zierten ihre Ohrläppchen, und auf ihrem Brustbein ruhte eine Kamee an einer goldenen Kette. Ihre Hand griff wieder nach dem Weinglas. Gute Maniküre; die Nägel modelliert, gerade so lang, dass es nicht billig aussah. Ich wusste, dass sie sechs oder siebenunddreißig war, aber trotz der maßgeschneiderten Klamotten, des Schmucks und des Makeups wirkte sie zehn Jahre jünger.
»Danke, dass Sie sich Zeit für mich nehmen«, sagte ich.
»Ich war nicht sicher, ob Sie zu den pünktlichen Zeitgenossen gehören«, entgegnete sie, »also habe ich mir schon mal was bestellt. Ich habe nur eine
Weitere Kostenlose Bücher