Das Buch der Toten
sagte er.
»Alles unwichtigen Kram. Central hat sie alle zu mir durchgestellt.«
»Eben.«
Schweigen. »Mag sein. Aber ich weiß immer noch nicht, wohin ich mich mit den Informationen wenden soll.«
»Da wäre noch etwas«, sagte ich. Ich erzählte ihm von Willie Burns, rechnete aber schon damit, dass er auch das wieder mit einem Schulterzucken abtun würde.
Er sagte: »Willie Burns. Der müsste dann heute so… um die vierzig sein?«
»Damals war er zwanzig oder einundzwanzig… ja, stimmt.«
»Ich habe einen Willie Burns gekannt. Er hatte ein Kindergesicht«, sagte er. »Wie alt wird er damals gewesen sein… vielleicht dreiundzwanzig.« Seine Stimme hatte sich verändert. Leiser, tiefer. Hochkonzentriert.
»Wer ist er?«, fragte ich.
»Vielleicht niemand«, antwortete er. »Ich ruf dich zurück.« Zwei Stunden später meldete er sich. Er klang angespannt und nicht ganz bei der Sache, so als ob er nicht allein sei.
»Wo bist du?«, fragte ich.
»An meinem Platz.«
»Dachte, du wolltest Urlaub nehmen.«
»Es gibt noch Papierkram zu erledigen.«
»Wer ist Willie Burns?«, fragte ich.
»Wir sollten uns lieber persönlich unterhalten«, sagte er. »Hast du Zeit? Klar hast du Zeit, du lebst ja das sorgenfreie Leben eines Junggesellen. Wir treffen uns vor dem Revier, sagen wir in einer halben Stunde.«
Er wartete am Straßenrand und sprang zu mir in den Seville, noch ehe der Wagen ganz zum Stehen gekommen war.
»Wohin?«, fragte ich.
»Egal.«
Ich fuhr weiter die Butler entlang, bog irgendwo ab und fuhr dann die bescheidenen Wohnstraßen rund um das Polizeirevier West L. A ab. Nachdem ich eine halbe Meile zwischen uns und seinen Schreibtisch gebracht hatte, sagte er: »Es gibt ganz bestimmt einen Gott, und er spielt gerade sein Spielchen mit mir. Das ist die Strafe für meine alten Sünden.«
»Welche Sünden?«
»Die Schlimmste von allen: Versagen.«
»Ist Willie Burns etwa noch so ein ungelöster Fall?«
»Willie Burns ist ein Tatverdächtiger in einem ungelösten Fall. Wilbert Lorenzo Burns, geboren vor dreiundvierzigeinhalb Jahren, Mordverdacht. Ich habe den Fall gleich nach meiner Versetzung bekommen. Und ob du's glaubst oder nicht, da scheint schon wieder eine Akte verschwunden zu sein. Aber ich habe einen von Burns' damaligen Bewährungshelfern ausfindig machen können, und der hat irgendein altes Papier hervorgekramt. Und siehe da, da stand's: Achievement House. Willie hatte es geschafft, sich im Sommer zum Arbeitseinsatz dorthin schicken zu lassen. Hat keinen Monat durchgehalten, wurde wegen häufigen Fehlens gefeuert.«
»Ein mutmaßlicher Mörder, und sie haben ihn mit schwer erziehbaren Teenagern arbeiten lassen?«
»Damals war er bloß ein Junkie und ein Dealer.«
»Da stellt sich doch dieselbe Frage.«
»Willie hat ihm vermutlich nie von seiner Vorgeschichte erzählt.«
»Wen hat er umgebracht?«
»Einen Typen von einer Kautionsagentur namens Boris Nemerov. Hatte sein Geschäft gleich hier in West L. A. Großer, kräftiger Bursche, er hatte ein Herz für Knackis, weil er selbst einige Zeit in einem Gulag in Sibirien verbracht hatte. Du weißt doch, wie das System der Kautionsbürgschaften funktioniert?«
»Der Angeklagte stellt einen bestimmten Prozentsatz der Kaution und hinterlegt eine Sicherheit. Wenn er nicht zum Prozess erscheint, bezahlt der Bürge das Gericht und streicht die Sicherheit ein.«
»Im Wesentlichen läuft es so«, sagte er, »nur dass der Bürge normalerweise die zunächst anfallende Kaution nicht aus eigener Tasche bezahlt. Er schließt für zwei bis sechs Prozent der Gesamtsumme der Kaution eine Versicherung ab, und um die Prämien abzudecken und einen Profit herauszuholen, zieht er von dem Angeklagten eine Gebühr ein, meistens zehn Prozent, nicht rückzahlbar. Wenn der Angeklagte türmt, zahlt die Versicherung an das Gericht und ist berechtigt, die Sicherheit einzuziehen. Das ist normalerweise eine Immobilie, zum Beispiel, wenn Oma ihrem geliebten kriminellen Enkel erlaubt, den netten kleinen Bungalow zu verschachern, in dem sie seit zweihundert Jahren wohnt. Aber einer armen alten Oma das Häuschen unterm Hintern wegzureißen, kostet Zeit und Geld und bringt negative Schlagzeilen, und was können Versicherungen schon mit solchen Immobilien anfangen, die keine fetten Mieten bringen? Also ziehen sie es immer vor, den Schuldigen selbst in die Finger zu kriegen. Und deshalb schicken sie ihre Kopfgeldjäger los. Die wiederum ihren Anteil verlangen.«
»Der
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