Das Buch der Unruhe des Hilfsbuchhalters Bernardo Soares: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
einer eingestürzten Mauer begraben liegt, liege ich unter der über mich hereingebrochenen Leere des gesamten Universums. Und so gehe ich, meinen eigenen Spuren folgend, bis die Nacht kommt und etwas von dem zärtlichen Gefühl, anders zu sein, wie ein Windhauch durch meine beginnende Ungeduld mit mir weht.
Und dieser hohe, größere Mond dieser sanften Nächte, lau vor Angst und Unruhe! Dieser düstere Friede der himmlischen Schönheit, diese kalte Ironie der warmen Luft, diese schwarze Bläue, neblig vor Mondschein und schüchtern vor Sternenglanz!
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Intervall
Verkürzte sich diese grauenvolle Stunde doch zum Möglichen oder verlängerte sich zum Sterblichen.
Bräche der Morgen doch niemals an. Könnten ich, diese Kammer und ihre Atmosphäre, zu der ich gehöre, sich doch in Nacht vergeistigen, in Finsternis verabsolutieren, auf daß von mir weniger als ein Schatten bliebe, der in meiner Erinnerung beschmutzen könnte, was vielleicht niemals stirbt.
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Wollten doch die Götter, o mein trauriges Herz, daß das Schicksal einen Sinn hätte! Oder wollte doch vielmehr das Schicksal, daß die Götter einen solchen hätten!
Mitunter, wenn ich nachts aufwache, spüre ich unsichtbare Hände mein Schicksal weben.
Ich verbringe mein Leben in Grabeshaltung. Nichts in mir stört nichts.
187
Die Haupttragödie meines Lebens ist, wie alle Tragödien, eine Ironie des Schicksals. Ich lehne das wirkliche Leben ab wie eine Verdammnis; ich lehne den Traum ab wie eine unfeine Befreiung. Aber ich durchlebe das Schmutzigste und Alltäglichste des wirklichen Lebens; und ich durchlebe das Eindringlichste und Beständigste des Traumes. Ich bin wie ein Sklave, der sich während der Siesta betrinkt – doppeltes Elend in einem einzigen Körper.
Gewiß, ich erkenne deutlich, mit der Klarheit, mit der sich die Blitze der Vernunft von der Finsternis des Lebens abheben, die nahe gelegenen Objekte, die für uns das Leben ausmachen, das, was an Niedertracht, Trägheit, an Unterlassung und Falschheit in dieser Rua dos Douradores steckt, die für mich das ganze Leben bedeutet – dieses bis ins Mark seiner Menschen erbärmliche Büro, dieses monatlich gemietete Zimmer, worin nichts geschieht, außer daß darin ein Toter lebt, dieses Lebensmittelgeschäft an der Ecke, dessen Besitzer ich kenne, wie Leute Leute kennen, die jungen Männer an der Tür der alten Taverne, die arbeitssame Nutzlosigkeit all der gleichförmigen Tage, die klebrige Wiederholung der gleichen Persönlichkeiten, wie ein Drama, das nur aus Bühnenbild besteht, und das Bühnenbild steht falsch herum …
Doch ich sehe auch, daß davor fliehen hieße es beherrschen oder ablehnen, und ich beherrsche es nicht, weil ich der Wirklichkeit nicht entkommen kann, und ich lehne es nicht ab, weil ich – ich mag träumen, was immer ich träumen mag – doch immer dort bleibe, wo ich bin.
Und der Traum, die Schmach, zu mir zu flüchten, die Feigheit, diesen Seelenmüll als Leben zu haben, den die anderen nur im Schlaf kennen, in der Gestalt des Todes, in der sie schnarchen, in der Ruhe, in der sie als höher entwickelte Pflanzen erscheinen!
Keine edle Geste vorweisen können, die sich nicht hinter verschlossenen Türen vollzöge, auch keinen unnützen Wunsch, der nicht wirklich nutzlos wäre!
Cäsar hat die ganze Gestalt des Ehrgeizes definiert, als er sagte: »Lieber der erste im Dorf als der zweite in Rom.« Ich bin nichts, weder im Dorf noch in irgendeinem Rom. Der Lebensmittelhändler an der Ecke wird zumindest von der Rua da Assunção bis zur Rua da Vitória respektiert; er ist der Cäsar eines Häuserblocks. Bin ich ihm überlegen? Worin, wenn das Nichts weder Überlegenheit noch Unterlegenheit noch überhaupt einen Vergleich gestattet?
Er ist der Cäsar eines ganzen Häuserblocks, und die Frauen sind ihm entsprechend zugetan.
Und so schleppe ich mich damit hin, zu tun, was ich nicht will, und zu erträumen, was ich nicht haben kann, […] absurd wie eine stehengebliebene öffentliche Uhr.
Nur die zarte, aber entschiedene Sensibilität, der lange, aber vollauf bewußte Traum […] bilden in ihrer Gesamtheit mein Halbschattenprivileg.
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So hart das Leben für einen gewöhnlichen Menschen auch sein mag, er muß es zumindest nicht denkend verbringen, und das ist ein Glück. Das Leben leben wie es kommt, äußerlich, wie Katz oder Hund – wie die meisten Menschen es tun, und um zufrieden sein zu können wie Katz oder Hund.
Denken heißt zerstören. Der
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