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Das Buch der Unruhe des Hilfsbuchhalters Bernardo Soares: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Das Buch der Unruhe des Hilfsbuchhalters Bernardo Soares: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Das Buch der Unruhe des Hilfsbuchhalters Bernardo Soares: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Zenith , Fernando Pessoa
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abzog, eine leichte, laue und willkommene Frische an die hellglänzende Oberfläche der Dinge. So verspürt bisweilen im Leben eine unter dem Leben leidende Seele plötzliche Erleichterung, ohne erklärbaren Grund.
    Ich stelle mir vor, wir seien Klimazonen, über denen Gewitter drohen, die anderswo niedergehen.
    Die leere Unermeßlichkeit der Dinge, das große Vergessen im Himmel und auf Erden …

193
    2 .  9 .  1931
    Inkognito habe ich dem stufenweisen Verfall meines Lebens beigewohnt, dem langsamen Schiffbruch all dessen, was ich sein wollte. Ich kann von mir sagen, und dies ist eine jener toten Wahrheiten, die keine Blumen braucht, um sie auszusprechen, daß nichts, was ich je geliebt oder auch nur für einen Augenblick erträumt hätte, mir nicht unter den Fenstern zerfallen wäre wie Staub, der aussah wie ein Klumpen Erde, bevor er von oben aus einem Blumentopf fiel. Es scheint fast, als hätte sich das Schicksal stets bemüht, mich etwas so lieben oder begehren zu lassen, daß es mir am folgenden Tag vor Augen führen konnte, wie aussichtslos dieses Unterfangen war oder wäre.
    Ironischer Zuschauer meiner selbst, habe ich jedoch nie mein Interesse am Treiben des Lebens verloren. Und da ich nun von vornherein um die Enttäuschung jeder noch so vagen Hoffnung weiß, erleide ich das besondere Vergnügen, Enttäuschung und Hoffnung gleichermaßen genießen zu können, ihren bitteren und süßen Beigeschmack, süßer noch angesichts alles Bitteren. Ich bin ein finsterer Stratege, der aus all seinen verlorenen Schlachten lernte, sich bereits am Vorabend jeder neu zu schlagenden Schlacht genußvoll und minutiös der Planung seines unvermeidlichen Rückzugs zu widmen.
    Wie ein böser Geist hat mich mein Schicksal damit gequält, nur haben zu wollen, was ich wohlweislich nicht haben kann. Sehe ich auf der Straße einen Augenblick lang eine ehetaugliche Mädchengestalt und stelle mir für nur einen Augenblick gänzlich gleichgültig vor, wie es wäre, wenn sie die Meine würde, so trifft dieses Mädchen mit Gewißheit zehn Schritte nach meinem Traum den Mann, der ganz augenfällig ihr Ehemann oder Geliebter ist. Ein Romantiker machte daraus eine Tragödie; ein Fremder empfände dies als Komödie: Ich neige eher zur Tragikomödie, und da ich in meinem Inneren Romantiker bin und mir selbst fremd, blättere ich weiter zur nächsten Ironie.
    Einige meinen, ohne Hoffnung sei das Leben undenkbar, andere, mit Hoffnung sei es leer. Für mich, der ich alles Hoffen oder Nichthoffen aufgegeben habe, ist das Leben schlicht ein äußeres Bild, das mich einschließt und das ich mir ansehe wie ein Schauspiel ohne Handlung, inszeniert nur, die Augen zu erfreuen – ein Tanz, dem etwas fehlt, sich bewegende Blätter im Wind, Wolken, in denen das Sonnenlicht die Farbe verändert, ein Gewirr alter Straßen, vorgezeichnet vom Zufall, in verschiedenen Vierteln der Stadt.
    Ich bin weitgehend die Prosa, die ich schreibe. Ich entfalte mich in Sätzen und Passagen, ich bin mein Punkt und mein Komma und auf meiner haltlosen Suche nach Bildern ein Kind, das sich in Zeitungspapier wie ein König kleidet, und in dem Maße, in dem ich mit Wortreihen Rhythmen schaffe, kröne ich mich wie ein Verrückter mit verwelkten Blumen, die in meinen Träumen unvermindert blühen. Und bei alledem bin ich still wie eine Stoffpuppe, die, sich ihrer bewußt geworden, hin und wieder den Kopf schüttelt, damit das Glöckchen an ihrer Zipfelmütze (einem wesentlichen Teil des Kopfes) etwas zum Klingen bringt: das Leben eines Toten, als winzigen Hinweis an das Schicksal.
    Wie oft aber kommt inmitten dieser friedlichen Unzufriedenheit im Bewußtsein meiner Emotion ein Gefühl der Leere und des Überdrusses auf, so denken zu müssen! Wie oft empfinde ich wie einer, der Stimmen hört hinter verklingenden und erklingenden Lauten, die Bitternis, die diesem, dem menschlichen Leben so fremden Leben zugrunde liegt – einem Leben, das nur im Bewußtsein dieses Lebens lebt! Wie oft erkenne ich nicht, aus meiner inneren Emigration erwachend, die ich bin, wie viel besser es wäre, für alle ein Niemand zu sein, dieser Glückliche, der zumindest die wirkliche Bitterkeit kennt, dieser Zufriedene, der Müdigkeit statt Überdruß verspürt, der leidet, statt zu glauben, er leide, der sich umbringt, ja, sich umbringt, statt dahinzusiechen!
    Ich bin eine Romangestalt geworden, ein gelesenes Leben. Was immer ich fühle, fühle ich unwillentlich, damit ich niederschreiben kann,

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