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Das Buch der Unruhe des Hilfsbuchhalters Bernardo Soares: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Das Buch der Unruhe des Hilfsbuchhalters Bernardo Soares: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Das Buch der Unruhe des Hilfsbuchhalters Bernardo Soares: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Zenith , Fernando Pessoa
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was ich stofflich bin, was ich für gewöhnlich tue, was ich normalerweise will, fühle, denke. Ich fühle mich für mich selbst verloren, außer Reichweite. Der moralische Drang zu kämpfen, das intellektuelle Bemühen, zu systematisieren und zu begreifen, das ruhelose künstlerische Streben, etwas zu schaffen, das ich nicht länger verstehe, mich aber erinnere, verstanden zu haben, und was ich Schönheit nenne, all das entzieht sich meinem Sinn für das Wirkliche, all das erscheint mir nicht einmal wert, als nutzlos, leer und zurückliegend betrachtet zu werden. Ich empfinde mich nur mehr als ein Vakuum, als Illusion einer Seele, Ort eines Wesens, Bewußtseinsdunkel, in dem ein seltsames […] Insekt vergebens zumindest die warme Erinnerung an ein Licht sucht.

220
    Schmerzhaftes Intervall
    Träumen, wozu?

    Was habe ich aus mir gemacht? Nichts.

    Sich in Nacht vergeistigen, sich […]

    Innere Statue ohne Konturen, äußerer Traum ohne Traumstoff.

221
    Ich war schon immer ein ironischer Träumer, untreu meinen inneren Versprechen. Ich genoß stets als ein Anderer, als ein mir Fremder, ein zufälliger Betrachter dessen, für den ich mich hielt, das Scheitern meiner Tagträume. Nie schenkte ich dem Glauben, woran ich glaubte. Ich füllte meine Hände mit Sand, nannte ihn Gold und ließ ihn durch die Finger rinnen. Worte waren meine einzige Wahrheit. Waren sie gesagt, war alles getan; alles übrige war der Sand, der er immer schon war.
    Wenn nicht das ewige Träumen wäre, das Leben in ständiger Entfremdung, könnte ich mich gut und gern als Realisten bezeichnen, jemanden also, für den die äußere Welt eine unabhängige Nation darstellt. Doch ich ziehe es vor, mich nicht zu benennen, in einem gewissen Dunkel zu belassen, was ich bin, und listig unvorhersehbar zu bleiben, auch für mich.
    Ich sehe mich in gewisser Weise verpflichtet, immerfort zu träumen, denn da ich nicht mehr bin noch mehr sein will als ein Beobachter meiner selbst, bin ich mir die bestmögliche Inszenierung schuldig. So gestalte ich mich in Gold und Seide, in imaginären Räumen, auf einer falschen Bühne, mit altem Dekor, ein Traum, erschaffen zu weich spielendem Licht und unsichtbarer Musik.
    Heimlich behüte ich, wie die Erinnerung an einen willkommenen Kuß, die Kindheitserinnerung an ein Theater, mit einem bläulichen Mondschein-Bühnenbild, das die Terrasse eines unmöglichen Palastes darstellte, umgeben von einem ebenfalls gemalten weiten Park, und ich erschöpfte meine Seele, dies alles zu erleben, als wäre es wirklich. Die Musik, die dieses Ereignis meiner geistigen Lebenserfahrung sanft untermalte, transponierte das Bühnenbild ins fieberhaft Wirkliche.
    Die Bühne war und blieb in bläuliches Mondlicht getaucht. Ich entsinne mich nicht mehr, wer auftrat, doch das Stück, das ich heute mit dieser Erinnerungslandschaft verbinde, entstammt den Versen Verlaines und Pessanhas [38]   , es ist anders als das von mir vergessene, das man damals in Szene setzte und das nichts zu tun hatte mit dieser Wirklichkeit blauer Musik. Es war mein eigenes, fließendes Spiel, eine grandiose Mondlicht-Maskerade, ein Zwischenspiel aus Silber und nächtlichem Blau.
    Dann kam das Leben. An jenem Abend nahm man mich mit zum Essen in den »Löwen« [39]   . Ich habe noch immer den Geschmack der Beefsteaks auf der Zunge meiner Sehnsucht – Beafsteaks, das weiß ich oder nehme es an, wie sie heute niemand mehr bereitet noch ich sie esse. Und alles verschmilzt – die von fern erlebte Kindheit, das schmackhafte Abendessen, die Mondlicht-Bühne, künftiger Verlaine und ich gegenwärtig – zu einer undeutlichen Diagonale, zu diesem trügerischen Raum zwischen dem, was ich war, und dem, was ich bin.

222
    Wie an diesen Tagen, an denen sich ein Gewitter zusammenbraut und die Straßengeräusche laut sprechen, jedes für sich.

    Die Straße kräuselte sich im grellbleichen Licht, und die fahle Finsternis erzitterte rund um die Welt unter einem Knall krachender Echos … In der trübseligen Unerbittlichkeit des dicht fallenden Regens wirkte das Schwarz der Luft noch intensiver, noch häßlicher. Kalt, lau, warm – alles zugleich –, überall irrte die Luft. Dann schlug quer durch das weitläufige Büro ein metallischer Lichtkeil eine Bresche in den Frieden der menschlichen Körper, eisiger Schrecken, ein Donnern wie von einem rollenden Felsblock, der überall aufschlägt, in harte Stille zerbricht. Das Geräusch des Regens ließ nach, wurde zu einer

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