Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Buch der Unruhe des Hilfsbuchhalters Bernardo Soares: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Das Buch der Unruhe des Hilfsbuchhalters Bernardo Soares: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Das Buch der Unruhe des Hilfsbuchhalters Bernardo Soares: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Zenith , Fernando Pessoa
Vom Netzwerk:
einem See in mir – ein See, eingeschlossen von schroffen Felsen, still, mit totem Blick, in dem die Höhe sich selbstvergessen betrachtet.
    So viele Male, so viele, hat mich, wie jetzt, das Gefühl zu fühlen bedrückt – Angst fühlen, nur weil es ein Fühlen ist, Beunruhigung über mein Hiersein, Sehnsucht nach Unbekanntem, Sonnenuntergang aller Gefühle, mein Vergilben zur grauen Traurigkeit im äußeren Bewußtsein meiner selbst.
    Ach, wer rettet mich vor dem Existieren? Ich will nicht den Tod und auch nicht das Leben: Ich will das andere, das auf dem Grund meines Verlangens glitzert wie ein möglicher Diamant in einer Höhle, zu der man nicht hinabsteigen kann. Es ist das ganze Gewicht und der ganze Kummer dieses wirklichen und unmöglichen Universums, dieses Himmels, Standarte eines unbekannten Heeres, dieser allmählich verblassenden Farben in der erdachten Luft, aus der starr und elektrisch weiß die imaginäre Sichel eines zunehmenden Mondes steigt, herausgeschnitten aus Ferne und Fühllosigkeit.
    Dies alles zeigt die Abwesenheit eines wahren Gottes, eine Abwesenheit, die der leere Leichnam des hohen Himmels ist und der verschlossenen Seele. Unendliche Gefangenschaft, und kein Entfliehen, da du unendlich bist!

226
    Welch wollüstig […], übersinnliches Vergnügen, bisweilen nachts durch die Straßen der Stadt zu streifen und von meiner Seele aus die Häuserzeilen zu betrachten, die unterschiedlichen Bauwerke, die architektonischen Details, das Licht in Fenstern, die Blumentöpfe, die jeden Balkon anders erscheinen lassen – welch unmittelbare, große Freude empfinde ich, wenn beim Anblick all dessen über die Lippen meines Bewußtseins der erlösende Schrei kommt: Nichts, nichts von alledem ist wirklich!

227
    18 .  10 .  1931
    Ich ziehe die Prosa als Kunstart dem Vers vor, und das aus zwei Gründen. Der erste ist rein persönlicher Art, ich habe keine andere Wahl, denn ich kann nicht in Versen schreiben. Der zweite hingegen ist allgemeiner Art und, wie ich meine, kein Schatten und keine Tarnung des ersten. Es lohnt daher, ihn näher auszuführen, denn er berührt den inneren Sinn allen Kunstwertes.
    Ich betrachte die Poesie als ein Zwischending, einen Übergang von der Musik zur Prosa. Wie die Musik ist die Poesie durch rhythmische Gesetze eingeschränkt, die, selbst wenn es nicht die starren Gesetze der Metrik sind, doch als Richtlinien, Zwänge und automatische Vorrichtungen zur Einengung und Züchtigung wirken. In der Prosa reden wir frei. Wir können musikalische Rhythmen einbeziehen und dennoch denken. Wir können poetische Rhythmen einbeziehen und dennoch außerhalb bleiben. Ein gelegentlicher Versrhythmus stört die Prosa nicht; ein gelegentlicher Prosarhythmus hingegen macht den Vers holprig.
    Die Prosa umfaßt die gesamte Kunst – einesteils, weil im Wort die ganze Welt enthalten ist, andernteils, weil das freie Wort alle Möglichkeiten enthält, die Welt zu beschreiben und zu denken. In der Prosa geben wir alles transponiert wieder: Farbe und Form, die Malerei nur direkt, in ihnen selbst und ohne innere Dimension wiedergeben kann; Rhythmus, den Musik nur direkt vermitteln kann, in ihm selbst, ohne Formgestalt noch jene zweite Gestalt der Idee; Struktur, die der Architekt aus vorgegebenen, haften, äußeren Dingen schaffen muß, können wir in Rhythmen, Verzögerungen, Abfolgen und flüssigem Stil herstellen; die Wirklichkeit, die der Bildhauer in der Welt zurücklassen muß, ohne Aura noch Transsubstantiation; und schließlich die Poesie, in welcher der Dichter, wie der Initiierte eines okkulten Ordens, sich (wenn auch freiwillig) einem Rang und einem Ritual beugt.
    Ich bin überzeugt, daß in einer ideal zivilisierten Welt Prosa die einzige Kunst sein wird. Wir ließen die Sonnenuntergänge Sonnenuntergänge sein und würden die Kunst nur darauf verwenden, sie verbal zu verstehen und in eine verständliche Farbenmusik zu transponieren. Wir ließen die Körper Körper sein und keine Skulpturen, sie behielten ihre lebendige Kontur und ihre sanfte Wärme, die wir sehen und berühren. Wir erbauten Häuser, nur um in ihnen zu wohnen, was letztlich ihre Bestimmung ist. Die Poesie bliebe, damit die Kinder der künftigen Prosa näherkämen, denn die Poesie ist gewiß etwas Kindliches, Mnemonisches, ein Behelf und ein Beginn.
    Selbst die kleineren Künste oder jene, die wir so nennen, finden ihren Widerhall in der Prosa. Es gibt eine Prosa, die tanzt, singt und sich selbst deklamiert. Es

Weitere Kostenlose Bücher