Das Buch der Unruhe des Hilfsbuchhalters Bernardo Soares: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
Lebens nicht vollauf, sondern müßte noch durch die zwangsläufige Monotonie eines bestimmten Gefühls verstärkt werden.
Und Demütigung, ja, Demütigung. Es dauerte eine Weile, bis ich den Grund für jenes scheinbar so wenig gerechtfertigte Gefühl verstand. Die Lust, geliebt zu werden, hätte sich bei mir einstellen müssen. Es hätte mich mit eitler Freude erfüllen müssen, daß jemand auf mich als liebenswertes Wesen aufmerksam geworden war. Doch abgesehen von dem kurzen Augenblick wirklichen Eingebildetseins, von dem ich gleichwohl nicht weiß, ob an ihm nicht das Staunen mehr Anteil hatte als die Eitelkeit, verspürte ich vor allem Demütigung. Es war, als hätte man mich mit einer Art Auszeichnung bedacht, die eigentlich einem anderen zukam – einer Auszeichnung von Wert nur für den, der sie von Natur aus verdiente.
Vor allem aber verspürte ich Müdigkeit, Müdigkeit mehr noch als Überdruß. Und ich verstand mit einem Mal einen Satz von Chateaubriand, den ich aus Mangel an eigener Erfahrung stets falsch verstanden hatte. Chateaubriand sagt in Gestalt seines René: »Es ermüdete ihn, geliebt zu werden« – »on le fatiguait en l’aimant«. Ich erkannte erstaunt, daß diese Erfahrung sich mit der meinen deckte, und folglich konnte ich ihren Wahrheitsgehalt nicht leugnen.
Wie ermüdend, geliebt zu werden, wahrhaft geliebt zu werden! Wie ermüdend, das Objekt emotionaler Belastungen eines anderen zu sein! Sich, wenn man sich frei, immer frei hat sehen wollen, mit einem Mal die Last der Verantwortung aufzubürden, Gefühle zu erwidern und so anständig zu sein, sich nicht zu entziehen, damit nur ja keiner auf den Gedanken kommt, man sei ein Prinz in Sachen Emotion und weise zugleich das Höchste zurück, das eine menschliche Seele zu geben vermag. Wie ermüdend, unsere Existenz ganz und gar abhängig zu sehen von der Gefühlsbeziehung zu einem anderen Menschen! Wie ermüdend, gezwungenermaßen fühlen zu müssen, gezwungenermaßen ebenfalls ein bißchen lieben zu müssen, wenn auch ohne die volle Erwiderung!
Diese schattenhafte Episode ging an mir vorüber, wie sie gekommen war. Nichts von ihr ist geblieben, weder in meinem Kopf noch in meinem Gefühl. Sie brachte mir keine Erfahrung, die ich nicht hätte ableiten können von den Gesetzen menschlichen Lebens, die ich instinktiv kenne, weil ich Mensch bin. Sie schenkte mir weder Freude, an die ich mit Trauer zurückdenken, noch Kummer, dessen ich mich ebenfalls mit Trauer erinnern könnte. Sie kommt mir vor wie etwas, das ich irgendwo gelesen habe, etwas, das einem anderen widerfahren ist, ein nur zur Hälfte gelesener Roman, da die andere Hälfte fehlte, ohne daß es mir etwas ausgemacht hätte, da im ersten Teil bereits alles stand, und obgleich er keinen Sinn ergab, war ersichtlich, daß auch der fehlende Teil, unabhängig von dem, was dort geschah, ihm keinen Sinn hätte verleihen können.
Mir bleibt nur ein Gefühl der Dankbarkeit dem Menschen gegenüber, der mich liebte. Doch ist es eine abstrakte, erstaunte Dankbarkeit, mehr rationaler als emotionaler Art. Es tut mir leid, daß ich jemanden habe leiden lassen – es tut mir leid, nicht mehr und nicht weniger.
Es ist unwahrscheinlich, daß mir das Leben eine weitere Begegnung mit natürlichen Gefühlen bringt. Ich wünschte fast, es geschähe gleichwohl, um zu sehen, wie ich ein zweites Mal empfände, nach der gründlichen Analyse meiner ersten Erfahrung. Vielleicht empfände ich weniger, vielleicht auch mehr. Sollte mir das Schicksal eine zweite Gelegenheit geben wollen, nur zu. Auf die Gefühle bin ich neugierig. Auf die Fakten, wie auch immer sie sein mögen, nicht die Spur.
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Sich nichts unterwerfen, keinem Menschen, keiner Liebe, keiner Idee, jene distanzierte Unabhängigkeit wahren, die darin besteht, weder an die Wahrheit zu glauben, falls es sie denn gäbe, noch an den Nutzen, sie zu kennen – dies, scheint mir, ist die rechte Befindlichkeit für das geistige, innere Leben von Menschen, die nicht gedankenlos leben können. Angehören bedeutet Banalität. Ein Glaube, ein Ideal, eine Frau, eine Profession – all das heißt Zelle und Fessel. Sein heißt frei sein. Selbst Ehrgeiz ist, sofern wir uns seiner rühmen, eine Last; und wir wären kaum auf ihn stolz, begriffen wir, daß er eine Schnur ist, an der man uns zieht. Nein: keinerlei Bindung, auch nicht an uns selbst! Frei von uns selbst wie von anderen, kontemplativ ohne Ekstase, Denker ohne Schlußfolgerung und befreit von
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