Das Buch der Vampire 01 - Bleicher Morgen
und stieß den Pflock der alten Dame beiseite. »Ich kann einfach nicht glauben, dass sie an diesem Wahnsinn festhält.«
Eustacia wusste, was es war; sie hatte die Einladung zu Victorias Hochzeit schon vor einer Woche in Empfang genommen. Sie wechselte einen Blick mit Kritanu, der gerade die Holzstücke einer von ihm neu entworfenen Waffe zusammenfügte. »Ich wusste gar nicht, dass du auf der Gästeliste stehst.«
Er schnaubte verächtlich. »Sie bat mich, teilzunehmen, damit ich dafür sorge, dass nichts - wie sie es auszudrücken beliebt - Unangemessenes geschieht. Sie will, dass ich nach Vampiren Ausschau halte, während sie sich vermählt!«
Eustacia überspielte ihr belustigtes Glucksen mit einem Hüsteln. »Nun, sie kann sich gewiss nicht selbst darum kümmern, nicht wahr? Und ich bin aufgrund meiner Arthritis nicht in der Lage einzuspringen. Der Rest der Familie hält mich ohnehin für verrückt. Sie würden mich nach Bedlam einweisen lassen, wenn sie mich mit einem Pflock umherschleichen sähen! Max, Max, ich habe ja selbst meine Vorbehalte, was Victorias Entscheidung anbelangt, aber ich darf ihr nicht im Weg stehen. Sie verdient die Chance, es auszuprobieren, wenn es sie so sehr danach verlangt.«
Max stolzierte hinüber zur Anrichte und schenkte sich ein Glas Whisky ein. »Das Ganze ist einfach lächerlich. Sie könnten es ihr verbieten, Signora .«
»Und damit den Zorn meiner Nichte Melly auf mich ziehen? Eher trete ich Lilith höchstpersönlich gegenüber.« Ihr Scherz war nur ein lahmer Beschwichtigungsversuch, und sie wusste es. Doch Kritanu, Gott segne ihn, ließ ein leises Lachen hören, dann fuhr er mit seiner Arbeit fort. Aber erst, nachdem er ihr einen verständnisvollen Blick aus samtschwarzen Augen zugeworfen hatte.
Es war so viel einfacher gewesen, als es nur sie beide gegeben hatte, die zusammen kämpften, studierten, sich liebten.
»Wirklich, Max. Sie hat uns geholfen, das Buch des Antwartha zu lokalisieren und an uns zu bringen. Sie hat trotz ihrer gesellschaftlichen Verpflichtungen unaufhörlich Vampire gejagt und vernichtet. Und es war stets ein großer Vorteil für uns, dass sie Zugang zu all diesen Empfängen hat, wo sie sich frei bewegen und all jene Vampire aufspüren kann, denen es gelungen ist, unsere Gesellschaftsschicht zu infiltrieren. Das ist etwas, das für dich oder mich, die wir aus Italien stammen, schwer zu bewerkstelligen wäre und das wir gleichzeitig seit langer Zeit gebraucht haben. Als die Marquise von Rockley wird sie noch häufiger zu solchen Anlässen geladen werden. Möglicherweise sogar an den Hof.«
»Ja, und wenn sie erst einmal die Marquise von Rockley ist, wird sie einen Ehemann haben, der ihr, so wie vor zwei Wochen, auf ihren Streifzügen hinterherspioniert. Oder aber er lässt sie erst gar nicht gehen, denn als ihr Angetrauter wird er in der Lage sein, sie in den Nächten, in denen wir sie vielleicht brauchen, zu Hause zu halten. Oder er zwingt sie, noch öfter an diesen
lächerlichen Bällen oder Abenden im Almack’s oder Wochenenden in Bath teilzunehmen. Bei unserer Arbeit geht es um Leben und Tod, und ich bin zutiefst besorgt, dass sie uns in Zukunft nicht so häufig zur Verfügung stehen kann, wie es nötig wäre.« Wie immer, wenn er erregt war, schlich sich der Akzent ihres Heimatlandes stärker in sein Englisch.
»Du hast noch nie gern mit jemandem zusammengearbeitet, Max, warum bist du also jetzt so erpicht darauf?«
»Liliths Macht wächst mit jedem Monat, deshalb müssen wir an einem Strang ziehen. Wir alle. Und was wird passieren, Eustacia, wenn Victoria Rockleys Erben unter dem Herzen trägt? Sie kann in einem solchen Zustand keine Vampire jagen.«
Porca l’oca! Max hatte Recht. Eustacia quälten ihre eigenen Bedenken, aber sie hatte versucht, sie beiseitezuschieben, hatte versucht, des Teufels Advokat bei Max zu spielen, da sie nicht wollte, dass die Kluft zwischen ihm und Victoria noch größer wurde. Aber sie konnte seinen Argumenten nichts entgegensetzen, hatte sogar selbst einige schlaflose Nächte deswegen verbracht.
Genau betrachtet, konnte es nicht funktionieren. Sie glaubte einfach nicht, dass es möglich war, denn sie hatte noch nie gehört, dass so etwas gut gegangen wäre.Andererseits hatte Eustacia gelernt, offen zu bleiben. Nur weil sie noch nie davon gehört hatte, bedeutete das nicht, dass es ausgeschlossen war.
Zeit, das Thema zu wechseln.
»Und der Marquis - ich nehme an, er hat sich von seinem Abenteuer im
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