Das Buch der Vampire 02 - Schwärzeste Nacht
gefilterte Luft einzuatmen; vielleicht hatte sie zu lange damit gewartet, aber zumindest half es, den Geruch abzuwehren.
Wie sollte sie sie bloß aufhalten?
Er kann nicht aufgehalten werden .
Es musste einen Weg geben. Sie brauchte unbedingt einen klaren Kopf.
Victoria atmete tief ein, dann durch gespitzte Lippen langsam und leise wieder aus, um den Rauch von sich wegzupusten, um ihn von dort fortzuscheuchen, wo sie atmete.
Die Bühnenbilder hingen von schweren Holzträgern herab. Sie könnte einen von ihnen lösen und ihn auf die Bühne krachen lassen. Das müsste ihnen wenigstens für den Moment Einhalt gebieten. Vielleicht würde es ihr gelingen, sie zu überrumpeln, indem sie nach unten sprang und einen oder zwei Vampire pfählte. Nedas würde ihr erstes Ziel sein.
Allerdings bestand wenig bis gar keine Aussicht darauf, dass es ihr gelingen würde, den Obelisken zu stehlen, selbst wenn Nedas tot war. Sie wusste nicht, wie lange es dauern würde oder
was geschehen musste, um seine Macht auf eine andere Person zu übertragen.
Und... sie hatte ihre vis bulla nicht mehr. Sie konnte nicht einfach nach unten springen, ohne sich dabei zu verletzen; sie könnte von Glück reden, wenn ihr zerschlagener Körper anschließend noch die Kraft hätte, den Pflock in einen normalen, rotäugigen Vampir zu stoßen, aber auf keinen Fall in Liliths Sohn.
Um die Träger, an denen die Kulissenleinwände hingen, waren Seile geschlungen.
Den unentwegten Gesang ausblendend, musterte Victoria die schweren Bühnenbilder, dann bewegte sie sich, während in ihrem Kopf ein Plan heranreifte, behutsam auf das zu, welches genau über der Stelle hing, an der Nedas stand. Vielleicht konnte sie sich mithilfe des Seils nach unten schwingen und sich das Überraschungsmoment zunutze machen. Wenn sie ihr Ziel genau anpeilte, könnte sie auf Nedas landen und ihn erstechen, noch bevor er wusste, wie ihm geschah.
Natürlich wäre sie anschließend auf Gedeih und Verderb den restlichen Vampiren und Tutelas ausgeliefert, und schwach, wie sie war, würde sie ihnen keinen Widerstand leisten können. Somit wäre der Obelisk noch immer für einen anderen nutzbar.
Ihr Verlangen, den Pflock durch Nedas’ Herz zu treiben, ihn zu Asche zerfallen zu sehen, war so übermächtig, dass sie erwog, das Risiko einzugehen. Aber was war mit Max? Er war es, der das Schwert geführt hatte! Er war derjenige, der die Tat begangen hatte.
Er verdiente es ebenfalls zu sterben.
Sie hätte ihn erschießen können, verdammt sollten die Vampire sein.
Ihre Mundwinkel zuckten, als sie sich der Ironie dieses Gedankens
bewusst wurde. Dann wurde sie wieder ernst, denn dies war nicht der rechte Zeitpunkt für Witze. Ihre Tante war tot.
Sie könnte Max von hier aus erschießen. Diese Erkenntnis ließ sie die Pistole aus dem Hosenbund ziehen. Sie könnte auf ihn feuern und dann über den Steg flüchten, bevor er überhaupt realisierte, was geschehen war oder von wo aus sie geschossen hatte.
Dann hätte sie wenigstens einen Teil ihrer Rachegelüste befriedigt.
Die Waffe war schwer, so unendlich schwer. Ein Auge zugekniffen, das andere auf Max fokussiert, versuchte sie, seine hochgewachsene Gestalt ins Visier zu nehmen. Doch er stand nie still, sondern bewegte sich mit der Kraft und dem Selbstvertrauen, die ihn für die Venatoren so unersetzlich gemacht hatten.
Er war der Beste unter ihnen gewesen.
Wie hatte er sie alle täuschen können?
Plötzlich schossen Flammen von unten herauf und lenkten Victorias Aufmerksamkeit von ihrem Ziel weg. Schwarz und blau loderten sie in die Höhe und vertrieben die Rauchschwaden aus den fünf kleinen Schalen. In gespenstischen, heißen Feuersäulen stiegen sie hoch in die Luft, eine von ihnen bis knapp unter die Stelle, wo Victoria kauerte. Das war also der Grund, warum Nedas den großen Opernsaal gebraucht hatte.
Der Gesang hielt noch immer an, doch verebbte er zu leiser Hintergrunduntermalung, als Nedas in dem Kreis, den die Feuerschalen bildeten, zu sprechen begann. Er strich dabei anmutig mit gespreizten Fingern durch die Luft, so als versuchte er, sie in Richtung des Obelisken zu drängen, erzeugte auf diese Weise kleine Wölkchen von Bewegung, die die Hitze auf den schmalen Tisch und seine Bürde zutrieben.
Victoria verstand seine Worte nicht, aber sie musste nicht wissen, was er sagte. Sie wusste, was er tat.
Der süßliche Geruch war verschwunden, ersetzt durch die Hitze und das ohrenbetäubende Knistern der Flammen. Max,
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