Das Buch der Vampire 03 - Blutrote Dämmerung
Konsilium stand, war sie außer Atem. Ihre Kehle war wie zugeschnürt. Sie hatte das Gefühl, sich übergeben zu müssen. Und verdammt sollte sie sein, wenn sie jetzt von neuem weinte.
Es hatte schon zu viele Tränen gegeben.
Zu Beginn ihres letzten Gesprächs mit Wayren war Victoria von verzweifelter Entschlossenheit beseelt gewesen, die sich am Ende jedoch in fassungslose Sprachlosigkeit, Ungläubigkeit, Trauer und schließlich rasende Empörung verwandelt hatte.
Max also auch?
Sie war von einem solch glühenden Zorn - auf Beauregard, Zavier, Sebastian und Max, ja, selbst auf Wayren und Phillip und Eustacia -, von derart betäubenden, übermächtigen Emotionen erfüllt, dass sie blindlings aus dem auf der Via Tilhin gelegenen Ausgang taumelte, den sie zuvor erst einmal benutzt hatte. Im ersten Moment hatte sie nicht die leiseste Ahnung, wo sie überhaupt war.
Erst als sie über eine zerbrochene Stufe vor dem leeren Gebäude stolperte und dabei das Gleichgewicht verlor, kam sie wieder zur Besinnung. Sie blieb stehen und schlang unter ihrem Mantel die Arme um sich, verschmolz mit den Schatten zwischen zwei Gebäuden, indem sie sich gegen eine getünchte
Hauswand lehnte. Dann begann sie, ihre widersprüchlichen Gedanken, die Flut von Gefühlen und ihre instinktiven Wahrnehmungen zu ordnen. Sie holte tief Luft, schloss die Augen und bat um göttliche Führung.
Es dauerte eine Weile, bevor sie sie wieder aufschlug und ihren Geist fokussierte. Dieser Mangel an Konzentration, an klarem Denken, passte nicht zur Illa Gardella. Victoria war froh, dass niemand Zeuge ihrer Unsicherheit und Trauer geworden war.
Sie wusste längst, was sie tun musste. Allerdings hatte sie gehofft - gewollt -, dass Max sie begleitete.
Und nun hatte Wayren ihr gesagt, dass sie ihn wahrscheinlich nie wiedersehen würde.
Sie hatte erklärt, dass seine Erinnerung an Victoria, an sie alle, zusammen mit seinen Fähigkeiten als Venator erloschen war. Er hatte sich für diesen Weg entscheiden müssen, um sich von Lilith zu befreien, und würde nun in die normale Welt zurückkehren, um in ihr den Rest seines Lebens zu verbringen.
Er hatte sie zuvor nicht mehr sehen wollen.
Das war vielleicht der größte Schlag von allen.
Victoria hatte den Grund nicht verstanden … aber vielleicht verstand sie ihn nun, während sie tief und gleichmäßig atmete und dabei die vereinzelten Sterne am Himmel betrachtete.
Er war so stolz. So arrogant und stolz und selbstherrlich, dass er von ihr nicht - nein, sie musste diese Bürde nicht allein tragen -, dass er von niemandem in seinem Augenblick der Schwäche und Verwirrung hatte gesehen werden wollen.
Trotz ihres Zorns auf ihn und seine überhebliche Art konnte sie ihn auf gewisse Weise verstehen. Denn wenn sie selbst diesen
Teil ihres Lebens unter derartigen Umständen aufgeben müsste, wäre auch sie verloren.
Venator zu sein war ein wichtiger Teil von ihr geworden. Vielleicht sogar der einzige, der zählte.
Victoria spürte, wie sich ihre Lippen vor Verbitterung verzogen, als sie daran zurückdachte, wie unbekümmert sie Bälle und andere Abendgesellschaften besucht, Verehrer abgewimmelt und mit Phillip geflirtet hatte, während sie gleichzeitig versucht hatte, ihre Liebe zu ihm mit ihren nächtlichen Vampirjagden in Einklang zu bringen. Inzwischen definierte sie sich fast ausschließlich über ihre Rolle als Venator.
Es war nur noch wenig übrig von Victoria Gardella Grantworth, der Debütantin, dann Ehefrau - und nun Witwe - des Marquis von Rockley.
Wenn sie dieses Leben also aufgeben müsste, wer wäre sie dann noch?
Aus diesem Grund verstand sie ihn.
Sie verstand, und so kauerte sie nun allein in der kalten Abendluft und weinte, bevor sie wieder von Zorn erfasst wurde. Und spürte, wie die Entschlossenheit in ihr wuchs.
Sie sah erst auf, als ein Schemen auf der Straße vor ihr vorbeieilte.
Da sie sich noch immer in der Dunkelheit verborgen hielt, bemerkte er sie nicht, doch Victoria sah ihn, und sie erkannte die geschmeidigen Bewegungen, die eleganten Schritte, das zerzauste, lockige Haar und den Schwung seines gut geschnittenen Mantels.
Wieder machte sich dieses scheußliche Gefühl in ihrem Magen breit, ihre Kehle wurde kratzig und trocken. Er war aus
derselben Richtung gekommen wie sie, von der Via Tilhin, wo das verlassene Gebäude stand, das Zugang zum Konsilium gewährte. Also hatte sie sich zuvor doch nicht geirrt, als sie glaubte, eine hastige Bewegung in dem verlassenen Korridor
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