Das Buch der Vampire 03 - Blutrote Dämmerung
genau hatten, konnte sie unter der schwarzen Kapuze seines Dominos nicht sehen. Doch sie erkannte die Kinnpartie und die Masse heller Locken, die seinen Hals umschmiegten. Er lächelte sie belustigt und ein wenig herausfordernd an.
Offensichtlich war die Nachricht überbracht worden. Noch bevor Victoria etwas sagen konnte, zog er mit einer abrupten Bewegung eine Johanna von Orleans zwischen sie, dann verschwand er in der Menge.
Victoria stieß die lachende Jungfrau aus dem Weg und nahm mit klopfendem Herzen die Verfolgung auf. Sie tat es ohne zu zögern, obwohl ihr natürlich bewusst war, dass man sie trotz verschiedener Maskierungen zwei Mal in ebenso vielen Nächten verfolgt hatte. Es war ein Risiko, aber kein unerwartetes.
Sie hielt einen Pflock in der Hand, während ein zweiter in
derselben Tasche wie der Dolch verborgen war, den Kritanu ihr zu Beginn ihres ankathari -Trainings gegeben hatte. Der kadhara hatte eine gekrümmte Klinge und war etwa so lang wie ihr Unterarm. Außerdem wurde sie von dem großen Kruzifix unter ihrer Kleidung geschützt, und natürlich von den beiden vis bullae .
Den Rücken des dunklen Dominos im Auge zu behalten und gleichzeitig seinem Zickzackkurs durch die Menge zu folgen war eine richtige Herausforderung. Er trug keine Kerze bei sich, und Victorias war gelöscht worden, deshalb blieb sie, sobald sie den Rand des Lichtermeeres erreicht hatte, kurz stehen, um ihre Flamme an dem dicken Docht der Kerze eines Esels erneut zu entzünden.
Nachdem sie sich durch die letzte Reihe von Menschen gedrängt hatte, fand Victoria sich in einer kurzen, schmalen Viuzza wieder; sie hielt inne und sah sich um. Es war ein seltsamer Kontrast: In ihrem Rücken Tausende lachender und lärmender Menschen mit ihren gelb leuchtenden Kerzen, und vor ihr diese dunkle Seitengasse, die nur von ihrer einzelnen Flamme erhellt wurde. Hier herrschte vollkommene Stille. Totenstille.
Die Kälte in ihrem Nacken hielt an, und die Härchen waren noch immer erwartungsvoll aufgerichtet, trotzdem sah sie niemanden. Als sie sich einen Moment zuvor aus der Menge geschoben hatte, war er noch da gewesen, aber jetzt war sie plötzlich allein.
Und wartete darauf, dass ihr wieder eine schwarze Decke über den Kopf geworfen würde.
Halb geduckt und für einen Angriff gewappnet, drehte Victoria sich langsam um und spähte in die Dunkelheit. Dann erkannte sie eine Bewegung.
»Ah, also bist du es tatsächlich. Ich war zunächst noch im Zweifel, aber die Sicherheit, mit der du deinen Pflock gehandhabt hast, überzeugte mich«, sagte die Gestalt mit dunkler Stimme, während sie sich aus den Schatten löste.
»Beauregard.« Als Victoria nun auf ihn zutrat, sah sie sich misstrauisch nach allen Seiten um, um festzustellen, ob er allein war oder ob irgendwo noch jemand lauerte, der sie aus dem Hinterhalt überwältigen könnte. Sebastian womöglich. Sie hatte die Finger fest um ihren Pflock geschlossen. Ihr Genick war noch immer kalt. Zusätzlich verspürte sie dort ein Prickeln, so als würde sie irgendjemand beobachten. »Du hast meine Nachricht also erhalten?«
»Warum sollte ich dich wohl sonst gesucht haben?« Seine Antwort klang unbefangen, doch ihr entging nicht, mit welch respektvoller Wachsamkeit er die Kapuze seines Dominos nach hinten schob.
»Dann wurde die Nachricht womöglich falsch überbracht«, erwiderte sie. »Ich wollte nämlich mit deinem Enkel sprechen und nicht mit dir.«
»Es ist nicht nötig, dass du mit diesem Pflock herumfuchtelst, so als wärst du ein frischgebackener Venator auf seiner ersten Jagd.« Um seinen Gleichmut zu demonstrieren, verschränkte er die Arme, wobei einer der Ärmel nach oben rutschte und ein kräftiges, elegantes Handgelenk zum Vorschein brachte. Seine Haltung und auch seine Miene erinnerten sie ein weiteres Mal an Sebastian.
Aber obwohl die beiden ähnlich aristokratische Gesichtszüge und dasselbe dichte, gelockte Haar hatten, besaßen sie ansonsten nur wenig Ähnlichkeit. Beauregard, der bei seiner
Transformation etwa Mitte vierzig gewesen sein musste, hatte eine etwas breitere Nase und dünnere Lippen als sein Enkel, außerdem war sein Haar nicht goldbraun wie Sebastians, sondern eher silberblond. Er war auf seine kühle Art recht attraktiv, und genau das war der Grund, warum er sie, neben seinem offenkundigen Charme und dem exzellenten Modegeschmack, an den jüngeren Mann erinnerte.
»Ich habe dich weder bedroht noch irgendjemanden verletzt«, fuhr Beauregard fort.
»Du
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