Das Buch der Vampire 04 - Brennendes Zwielicht
alle als Prinny kannten, fast achtzehn Monate nachdem er den Thron bestiegen hatte, würde die größte, teuerste und bombastischste Krönung sein, die je für einen englischen König ausgerichtet worden war.
»Was wirst du anziehen, Victoria?«, fragte Lady Nilly und beugte sich nach vorn, als würde sie die Enthüllung großer Modegeheimnisse erwarten.
»Ich glaube, ich bin nicht eingeladen«, erwiderte sie scharf. Heute hatte sie es nicht mit den höflichen Umgangsformen. »Und ich habe auch nicht vor hinzugehen.«
»Aber natürlich bist du eingeladen worden! Die einzige hochrangige Persönlichkeit im ganzen Land, die nicht teilnehmen wird, ist die Königin selbst«, wies Lady Melly sie zurecht. »Und wenn du den Krönungsfeierlichkeiten fernbleibst, könntest du dich in den Augen des ton mit ihr auf eine Stufe stellen. Es würde sich für die Marquise von R ockley nicht ziemen, sich auf die Seite von Queen Caroline zu schlagen.«
»Es ist abscheulich, wie das einfache Volk dieser widerlichen Person zujubelt, wenn sie in der Stadt auftaucht, und sie damit auch noch bestärkt«, meinte Lady Nilly und rümpfte die Nase, als würde sie mit einem unangenehmen Geruch konfrontiert werden. Vielleicht lag es am Margeritenstrauß, der auf dem Tisch mit dem Tee stand. Victoria hatte der Geruch dieser Blumen schon immer missfallen.
»Das liegt nur daran, dass das Volk Prinny – äh, Seine Majestät – verabscheut. Deshalb liebt man sie. Oder tut zumindest so, denn ich bezweifle das doch ganz stark. Wenn einer je in die Nähe dieser stinkenden Kuh käme, würde er sofort wegrennen und seine Einstellung noch einmal überdenken«, erklärte Lady Melly resolut.
»Wenn diese Frau sich waschen, ihre Unterwäsche wechseln oder auch nur ihr Haar kämmen würde, ließe Seine Majestät sie vielleicht in seine Nähe … aber das tut sie ja nicht.« Jede einzelne Falte von Herzogin Winnies Mehrfachkinn bebte, aber man konnte wirklich nicht sagen, sie liefe Gefahr, im Glashaus zu sitzen. »Es ist einfach nur eine Frage der Toilette«, erklärte sie und strich über ihren perfekt sitzenden Rock. Die Herzogin mit ihren recht ausladenden Proportionen war immer makellos gekleidet und frisiert, wenn sie aus ihrem Zimmer trat. »Ich wette, die Ziegen der Königin sind gepflegter als sie selbst.«
Die anderen Damen lachten, und auch Victoria konnte ein leichtes Lächeln nicht unterdrücken. Was man über die Königin sagte, konnte nicht nur als üble Nachrede bezeichnet werden. Diese Frau hatte sich vom ersten Moment an, als sie von Deutschland nach England kam, um den Mann zu heiraten, der damals noch Prinzregent war, nicht gerade Freunde gemacht.
Victoria erinnerte sich an die Anekdote, die man sich über das erste Zusammentreffen von Caroline von Braunschweig mit Prinny erzählt hatte. Der Prinz hatte der schlampigen, übel riechenden Frau von Angesicht zu Angesicht gegenübergestanden und angeblich ziemlich laut zum Baron von Malmesbury gesagt: »Harris, ich fühle mich nicht wohl. Bitte, bringen Sie mir einen Brandy.« Die nächsten drei Tage bis zur Hochzeit und auch bei der Hochzeit selbst hörte er nicht auf zu trinken. In seiner Hochzeitsnacht war er bewusstlos geworden, und Caroline hatte ihn auf dem Boden liegen lassen.
Es war kein Wunder, dass sie einander feindselig gesonnen waren.
An der Tür zum Salon klopfte es, und Lady Melly richtete sich erwartungsvoll auf. Victoria verstärkte den Griff ihrer Finger um eine unschuldige Teetasse; denn sie wusste, dass die freudige Erwartung ihrer Mutter für sie nichts Gutes bedeuten konnte.
Aber dann rief sie sich in Erinnerung, dass es nicht James sein konnte. Er hatte sich letzte Nacht in einen Haufen Asche verwandelt und würde nicht länger in die Intrigen ihrer Mutter verwickelt werden.
Und so würde Lady Melly auf jeden Fall enttäuscht werden – in mehr als einer Hinsicht. Nachdem er dazu aufgefordert worden war, betrat der Butler von Grantworth House mit einem Silbertablett in der Hand den Raum. Darauf lag ein schwerer weißer Bogen, gefaltet und versiegelt mit gelbem Wachs, in das eine Krone gedrückt war, die nicht näher zu identifizieren war. »Ein Sendschreiben für Lady R ockley«, verkündete er salbungsvoll.
Victoria hätte fast eine Vase mit süß duftenden Lilien umgestoßen, als sie aufsprang, um die Botschaft entgegenzunehmen. Sie hoffte auf einen Vorwand zu gehen, ehe die Scharen von nachmittäglichen Besuchern eintrafen.
Die Nachricht war schlicht und
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