Das Buch der Vampire 04 - Brennendes Zwielicht
gewesen wäre.«
»Beauregard?«
»Vioget. Und das wusste er auch. Deshalb hat er am Ende auch das Richtige getan, indem er Beauregard pfählte. Er hatte keinerlei Anstalten dazu gemacht, bis ich auftauchte.«
Victoria spürte, wie ihr ein Schauer über den R ücken lief. Die Feindseligkeit, die zwischen den beiden Männern bestand, war furchteinflößend. Obwohl sie beide schon seit zwei Jahren kannte, war es nie so deutlich gewesen wie jetzt. Eine Feindseligkeit, die so stark war, dass der Eindruck entstand, sie würde bald eskalieren. »Als du mit Sebastian zusammen kamst, um mich zu retten, hattest du … hattest du nicht mehr die Kraft, die einem die vis bulla verleiht.«
»Und?«
»Du hast es ihm nicht gesagt, Max. Du hättest getötet werden können.«
»Bin ich aber nicht.«
»Was wirst du jetzt tun?«
Er veränderte seine Position, und das dem Sonnenaufgang vorauseilende Schimmern beleuchtete die Hälfte seines Gesichts, hob den hohen, ausgeprägten Wangenknochen und einen Teil seines kantigen Kiefers hervor. Sein dunkles Haar strich an der Unterseite seines Kinns entlang, und die vollen Wellen schimmerten, wo das Licht auf sie fiel. »Ich bin hier, um dir zu helfen, und dann werde ich irgendwohin gehen, wo Lilith mich nicht finden kann.«
»Wie willst du das machen?«
»Ich kann immer noch Vampire pfählen, Victoria.«
»Natürlich kannst du das«, erwiderte sie scharf. »Schon bevor du die vis bulla hattest, warst du ein erfolgreicher Vampirjäger – eine Tatsache, die du mir mehr als einmal unter die Nase gerieben hast. Trotzdem wirst du es nicht mit Lilith aufnehmen können, wenn sie dich findet, und du kannst sicher sein, dass sie nach uns beiden sucht. Es kann sogar sein, dass sie hier in London ist. Ein Biss genügt und du wärest wieder in ihrem Bann …«
»Nein, das stimmt nicht. Es gehört mehr als ein Biss dazu – sonst würde das was du sagst ja auf alle zutreffen, die sie je gebissen hat. Und ich sehe ganz gewiss keine Notwendigkeit, diese Erinnerungen wieder aufzufrischen.«
»Auch wenn es mehr als nur ein Biss ist …«
»Ich weiß deine Sorge zu schätzen«, sagte er, »aber ich habe nicht die Absicht, mich von diesem Geschöpf wieder in Bann schlagen zu lassen. Ich habe etwas zu meinem Schutz.« Er hob die Hand, und im Dämmerlicht konnte sie erkennen, dass er einen schweren Silberring trug.
Er brauchte keine Erklärung abzugeben. Sie kannte ihn gut genug, um zu verstehen, was es mit dem Ring auf sich hatte. In dem Ring befand sich etwas, das ihm den Tod brachte, wenn es notwendig werden sollte. Er schien fast erpicht darauf zu sein, es auszuprobieren. »Der praktische Max.« Sie merkte, wie sich ihre Lippen zu einem falschen Lächeln verzogen. »Wie meinst du uns also helfen zu können?«
»Es ist ganz einfach. Du und Vioget, ihr verlasst euch auf die Kraft der vis bulla , um zu spüren, wenn ein Vampir in der Nähe ist, und um sie zu bekämpfen. In diesem Falle verlasst ihr euch vielleicht zu sehr darauf. Ich muss mich nicht mehr damit abgeben und kann mich stattdessen ganz auf meine Intuition und meine Sinne konzentrieren – Fähigkeiten, die ich schon genutzt habe, ehe ich ein Venator wurde. Wachsamkeit und mein Instinkt haben mir in der Vergangenheit immer gute Dienste geleistet.«
Victoria hatte die Arme vor der Brust verschränkt. Bei ihr hatten sich die Nackenhaare aufgestellt, als er angefangen hatte zu reden, aber am Ende nickte sie zustimmend. »Ich bin auch praktisch veranlagt«, meinte sie. »Ich halte das für eine hervorragende Idee.«
Er gab keine Antwort, und sie konnte es sich nur so erklären, dass nicht einmal Max in diesem Fall eine abfällige Bemerkung einfiel. Schließlich hatte sie ihm beigepflichtet.
»So, Victoria, dann erzähl einmal. Was hat dich dazu bewogen, von dem sehr komfortablen Domizil des Marquis von R ockley in dieses kleinere Haus in einem höchst uneleganten Teil der Stadt zu ziehen?«, fragte er und wandte sich vom Fenster ab.
Sie holte tief Luft, um dann wieder langsam auszuatmen. Traurigkeit stieg in ihr auf. »Ich gehöre da nicht mehr hin. Mein Leben hat sich völlig verändert.«
»Ein Gefühl, das ich gut nachvollziehen kann.« Seine Stimme hatte ihre Schärfe verloren.
Stille senkte sich über den Raum.
Victoria hatte häufig darüber nachgedacht, wie ihr Leben wohl aussehen würde – wie leer, anders, langweilig es wäre – wenn sie keine vis bulla mehr hätte. Wenn es für sie schon schrecklich war, wie viel
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