Das Buch der Vampire 04 - Brennendes Zwielicht
langsam in Wut auf den dünnen Mann, der da vor ihr stand. Vor Victorias Augen breitete sich ein rötlicher Schleier aus. Sie spürte, wie sich ihre Hände zu Fäusten ballten, wobei sich ihre Nägel tief ins Fleisch bohrten.
»Ja, genau«, fuhr er mit gelassener Stimme fort. »Die Umstände, unter denen Ihr Ehemann verschwand, sind wirklich sehr merkwürdig. Ich werde sie bei meinen Nachforschungen nicht außer Acht lassen. Und glauben Sie ja nicht, dass Ihre gesellschaftliche Stellung Sie in irgendeiner Weise schützen wird, Lady R ockley.«
»Verschwinden Sie aus meinem Haus.«
»Natürlich, Lady R ockley.« Er setzte sich in Richtung Tür in Bewegung und tat dabei so, als hätte er alle Zeit der Welt und als hätte er nicht die geringste Angst vor Victoria. Dabei musste es an ihrem Gesicht abzulesen sein, dass sie kurz davor stand, gewalttätig zu werden, obwohl sie versuchte, ihre Gesichtszüge unter Kontrolle zu behalten. Sie kochte vor Wut, sie spürte, wie ihre Beine unter ihrem R ock bebten und wie sie die Zähne zusammenbiss.
»Erinnern Sie sich noch daran, wie es Baron Chiftons Erben ergangen ist? Und es war noch nicht einmal Mord, Lady R ockley. Er hatte nur etwas Schmuck gestohlen.« Mr. Goodwin lächelte und sah sehr zufrieden aus. »Auf Diebstahl steht immer noch der Strang. Genau wie auf tätlichen Angriff und Beihilfe zum Mord.«
Jetzt lag seine Hand auf dem Türknauf, und er drehte ihn. Dann hielt er, wie schon Max vor ihm heute Morgen, noch einmal inne. »Habe ich erwähnt, dass einer der Dienstboten in St. Heath’s R ow mir erzählte, wie R ockley schon Tage, bevor er laut Ihrer Aussage mit der Plentifulle in See stach, das Haus verlassen hatte, nachdem es zu einem lauten Streit zwischen Ihnen beiden gekommen war? Und dass er an dem Tag, an dem er Ihrer Aussage nach in See gestochen sein soll, von demselben Dienstboten dabei gesehen wurde, wie er mitten in der Nacht ins Haus kam? In genau der Nacht, in der Sie alle Dienstboten weggeschickt hatten?«
Er trat durch die Tür, als es vor Victorias Augen zu flimmern begann. Sie spürte, wie heftig ihr Herz schlug und wie ihr Atem immer schneller wurde. Sie wollte auf ihn zugehen … um ihn aufzuhalten. Um ihn daran zu hindern, weiter diese höhnischen Bemerkungen von sich zu geben, diese unterschwelligen Anschuldigungen.
Doch er war noch nicht fertig. »Ich glaube, dass Sie etwas mit seinem Verschwinden zu tun haben, Lady R ockley. Ebenso wie mit den Angriffen auf Miss Forrest und Miss Flowers. Außerdem wurde vor einem Jahr ein Mann in Seven Dials tot aufgefunden. Der Leichnam wies mehrere Messerstiche auf. Ich habe jetzt seit fast einem Jahr auf Ihre R ückkehr aus Italien gewartet.« Er lächelte und zog sich den Hut über sein fettiges, glattes Haar. Dabei sah er sie mit der gleichen Überheblichkeit an, die auch Nedas, Liliths Vampirsohn, an den Tag gelegt hatte. »Ich habe viele Ihres Standes in Newgate hinter Gittern und später auf dem Schafott gesehen. Ich bin der Meinung, dass auch Sie bald in der gleichen Lage sein werden, und dann wird Ihnen Ihre Schönheit nicht mehr viel helfen.«
Damit schloss er die Tür unheilvoll langsam, leise hinter sich.
Trotz der inneren Unruhe, die Mr. Goodwins Besuch bei ihr ausgelöst hatte, war Victoria besonnen genug, Charley, Tante Eustacias vertrauenswürdigen Butler, dem widerwärtigen Mann hinterhergehen zu lassen.
Sobald sie allein im Vestibül stand, schüttelte Victoria die dunklen Vorahnungen und die Wut ab, die sich während der Unterhaltung in ihr angesammelt hatten. Der Schleier vor ihren Augen verflüchtigte sich, und sie sah auf ihre Hände herunter – die eine weich und voller Narben, die andere schwach bläulich verfärbt, als wäre sie zu lange draußen in der Kälte gewesen. Sie sah die Abdrücke, die ihre Nägel hinterlassen hatten, aber sie gingen nicht so tief, als dass Blut hervorgetreten wäre.
Ihre Finger zitterten nicht mehr.
Trotz seiner Drohungen hatte sie nicht wirklich Angst vor dem Bow Street R unner. Was sollte er ihr schon antun können? Sie war nicht nur eine Angehörige des ton , sondern darüber hinaus auch Illa Gardella. Und das Wichtigste: Sie hatte nichts Unrechtes getan. Sie hatte ganz gewiss nichts mit dem Tod von Miss Forrest und Miss Flowers zu tun, und die Sache mit Phillip war etwas ganz anderes.
Aber … da war noch dieser Vorfall in Seven Dials.
Während sie im Vestibül von Tante Eustacias Haus stand, musste sie unwillkürlich an jene Nacht
Weitere Kostenlose Bücher