Das Buch der Vampire 04 - Brennendes Zwielicht
sich nicht vorstellen konnte, dass sie es je bewältigen würde, nachdem sie nur einen Tag unter Anleitung von Kritanu ihre qinggong -Übung absolviert hatte. Sie fragte sich, ob Max darüber Bescheid wusste. Sie merkte, dass sich ihre Hand fester auf seine Schulter gelegt hatte als nötig, und lockerte ihren Griff.
»Wenn du nicht gerne tanzt, warum sind wir dann auf der Tanzfläche?«, fragte sie frech.
»Wie sollten wir uns sonst unterhalten, ohne dass uns jemand belauscht?«
Sie schaute auf und bemerkte erneut, wie groß er eigentlich war. Sie war keine kleine Frau und trotzdem reichte sie Max gerade bis zu den breiten Schultern. Aber er sah zu ihr hinunter, und so konnte sie den Ausdruck in seinen Augen erkennen. Er wirkte eigentlich nicht so, als ob dieses frivole Vergnügen eine besondere Zumutung für ihn darstellte. Victoria war plötzlich ganz atemlos und errötete, deshalb sagte sie übergangslos: »Wolltest du mir etwas sagen?«
»Ich hatte eher das Gegenteil gehofft. Was hast du in Bezug auf den Bow Street R unner unternommen?«
Sie machte sich gar nicht erst die Mühe zu fragen, wie er von Mr. Goodwins zweitem Besuch und dem Verhör erfahren hatte und was er darüber wusste. »Ich habe Barth und Oliver damit beauftragt, den Mann auszukundschaften und so viel wie möglich herauszufinden. Charley ist ihm heute gefolgt, nachdem er gegangen ist. Er hat seine Adresse herausgefunden. Jetzt wechseln sich Oliver und Barth mit dem Beobachten ab.«
Barth war Verbenas Cousin und der Mann, der die Mietdroschke lenkte, welche Victoria in die eher unappetitlichen Stadtteile brachte, wenn sie Jagd auf Vampire machte. Schließlich konnte sie nicht R ockleys Kutsche – oder irgendein anderes Gefährt – nehmen, welches man mit ihr in Verbindung hätte bringen können. Und Oliver, der Barths Freund und Verbenas Sargnagel war, hatte Victoria und ihre Zofe nach Italien begleitet. Ein großer Mann, der sich eigentlich ständig von Verbenas spitzer Zunge und drohend erhobenem Zeigefinger einschüchtern ließ, obwohl sie ihm lediglich bis zum Ellbogen reichte.
»Und er ist wirklich ein Bow Street R unner? Obwohl … das spielt eigentlich gar keine R olle; die sind heutzutage ohnehin korrupt.«
Sie nickte, als er sie mit einer unerwarteten, komplizierten Schrittfolge zwischen zwei anderen tanzenden Paaren hindurch führte – von denen eines überhaupt nicht im Takt mit der Musik war – und spürte, wie plötzlich kühlere Luft über ihr Bein strich, als ihr R ock aufwirbelte. »Als Charley ihm folgte, kehrte er zum Magistrat zurück. Trotzdem muss jemand Nachforschungen über ihn anstellen. Vielleicht finden wir ja noch mehr über ihn heraus.«
Max nickte und verstärkte den Druck seiner Hand, die auf ihrem R ücken lag, um eine Drehung mit ihr zu vollführen. Dabei hätte Victoria fast laut aufgekeucht, als sie plötzlich Sara R egalado von Angesicht zu Angesicht gegenüberstand. Wieder verstärkte Max den Druck seiner Hand, und sie wirbelten weiter, weg von R omeo und Julia, deren Tanzstil deutlich distinguierter wirkte.
»Ich frage mich«, meinte er nach einer Weile und unterbrach mit seinen Worten die genießerische Konzentration, mit der sie sich dem eleganten Fluss seiner Schritte und der Sicherheit, mit der er sie führte, hingegeben hatte, »ob dir auch der Gedanke gekommen ist, dass der neue Marquis unser Vampir sein könnte, der am helllichten Tag umgeht.«
»James?«
»Ach, James also? Welch vertrauter Umgang mit einem Mann, zu dem du keinerlei Neigung hast.« Irgendwie gelang es ihm, das Kinn zu heben und sie gleichzeitig von oben herab anzusehen; sogar mit Maske verbreitete er eine ärgerliche Arroganz.
»Natürlich ist mir der Gedanke gekommen«, erwiderte sie. Das stimmte zumindest teilweise. »Und dann ist mir noch der Gedanke gekommen, dass auch du es sein könntest.«
Ah! Es war ihr tatsächlich gelungen, ihn zu überraschen – sie erkannte es an dem plötzlichen Glitzern in seinen Augen und spürte es daran, dass er ganz kurz aus dem Takt geriet. »Vielleicht hat Lilith dich gefangen genommen und dich in einen Untoten verwandelt. Und dann bist du aus irgendeinem schändlichen Grund nach London zurückgekehrt … hast dieses Elixier getrunken, damit du auch am Tage draußen sein kannst und ich nicht spüre, dass du ein Vampir bist.«
»Sehr gut, Victoria.« Er nickte ernst, aber da war auch so etwas wie Erheiterung in seinen Augen zu erkennen. Und sie hätte schwören können, dass seine
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