Das Buch der Vampire 04 - Brennendes Zwielicht
störe nicht.«
Victoria war nicht nur dankbar für die Unterbrechung, sondern auch verwirrt, als sie feststellte, dass sich James Lacy, der Marquis von R ockley, unbemerkt genähert hatte. Er hatte sie ohne Schwierigkeiten gefunden – trotz der fantasievollen Verkleidung und der Tatsache, dass sie allein gekommen war. Leider wusste sie nur zu genau, wer für diesen Zufall verantwortlich war. Kurz zog sie es in Erwägung, Ausflüchte zu machen, verwarf diese Idee jedoch sofort wieder, weil sie wusste, dass es zwecklos wäre. Ihre Mutter würde so oder so einen Weg finden, dass die beiden Zeit miteinander verbrachten. Gott sei Dank hatte Lady Melly nicht vorgehabt, heute Abend auch dabei zu sein; aber offensichtlich hatte sie eine Möglichkeit gefunden, James Lacy über Victorias Kostüm zu informieren.
Dass drei Männer, die sie kannte, sie so schnell und leicht entdeckt hatten, obwohl sie sich solche Mühe mit ihrer Verkleidung gegeben hatte, verlieh Max’ Kritik nun doch ein gewisses Gewicht. Sie konnte nur noch hoffen, dass George ihre Verkleidung nicht so leicht durchschaut hatte.
»Guten Abend, Mylord«, sagte Victoria und machte einen Knicks, als sie merkte, dass die beiden anwesenden Herren nicht reagierten. James war wie ein mittelalterlicher Ritter gekleidet. Über den enganliegenden Beinkleidern aus Wolle – die an diesem lauen Sommerabend mehr als unangenehm warm sein mussten – trug er eine lockere Tunika, die mit einem Gürtel zusammengehalten wurde, in dem ein hölzernes Schwert steckte.
»Vielleicht gewähren Sie mir ja diesen Walzer«, sagte James und machte dabei eine etwas steife Verbeugung. Sie bemerkte, dass er sich so hingestellt hatte, dass er zwischen ihr und Sebastian stand.
»Ich würde …«
»Aber sie hat ihn bereits mir versprochen.«
Wäre Lilith hereingekommen und hätte darum gebeten, von ihr gepfählt zu werden, sie hätte nicht überraschter sein können. Bei Sebastian hätte sie mit so einer Bemerkung gerechnet – und wenn sie seinen gequälten Gesichtsausdruck richtig deutete, hatte er das auch vorgehabt – aber nicht bei Max.
Max? Und Tanzen?
Max, der sich solch frivolen Vergnügungen hingab? Es war nicht weiter schlimm, dass Victoria nicht sofort reagierte, denn das gab James die Gelegenheit zu antworten. »Ist denn auf Ihrer Tanzkarte sonst noch etwas frei, Mrs. … äh, Lady R ockley?« Und ehe sie etwas sagen konnte, nahm er ihr die Tanzkarte mit dem kleinen Stift, der an einem silberblauen Band hing, aus der Hand. »Aber da steht ja noch gar nichts drauf«, setzte er an.
Max nahm ihm mit einer schnellen, fließenden Bewegung die Karte ab und sah sie an. »Tatsächlich.« Victoria konnte zwar nicht sehen, dass er die Augenbrauen hochzog, aber sie wusste, dass er es hinter seiner Maske tat. »Mein Fehler.« Er gab die Tanzkarte James zurück und fügte hinzu: »Bitte sehr, Mylord. Wir sind gleich zurück.«
Max führte Victoria nicht gerade sanft auf die Tanzfläche. »Mach den Mund zu«, sagte er. »Die Leute werden sonst noch denken, ich hätte dich hierher gezerrt.«
»Hast du ja auch. Ich hätte nie gedacht, dass du jemand bist, der sich …«
»Frivolen Vergnügungen hingibt?«
Hatte sie die Worte etwa laut gesagt?
Max brachte sie in die korrekte Tanzhaltung, legte seine Hand an ihre Taille und berührte sie fast mit seinen Beinen. Ihre in Handschuhen steckenden Hände lagen ineinander und hatten den richtigen Winkel eingenommen. Alles sehr korrekt. Und die ersten Schritte des Walzers, die sie gleich bis in die Mitte der Tanzfläche brachten, wurden von ihrem Tanzpartner so fließend und perfekt ausgeführt, dass sie ihn überrascht anschaute. Schon wieder.
»Du brauchst gar nicht so verdammt schockiert zu gucken«, meinte er, während sie an einem anderen Paar vorbeiwirbelten. »Ich tanze vielleicht nicht gern, aber trotzdem bin ich ziemlich gut darin.«
In der Tat. Und während er sie mit traumwandlerischer Sicherheit zwischen den anderen Paaren hindurchsteuerte, als wären es Zahnräder in einem gut geölten Uhrwerk … ohne auch nur einmal zu zögern, zu taumeln, ins Stocken zu geraten oder einem anderen Paar zu nah zu kommen, ging ihr auf, wie dumm es von ihr gewesen war, etwas anderes als Anmut und Taktgefühl von einem Mann zu erwarten, der so kämpfen konnte wie Max. Ein Mann, der durch die Luft gleiten konnte, musste ja wohl in der Lage sein, sich sicher auf dem Tanzparkett zu bewegen.
Durch die Luft zu gleiten war ohnehin etwas, von dem sie
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