Das Buch der Vampire 05 - Sanfte Finsternis
hatte und welche ihm in seinen Träumen erschien, war etwas sehr Persönliches. Er hatte das Gefühl, die nächtlichen Bilder und Erinnerungen zu besudeln — zumindest die schönen -, indem er es laut gestand. Trotzdem sah er sich gezwungen, es ehrlich und ohne Ausflüchte zuzugeben.
Wayren nickte. »Erzähl mir von den Träumen.«
Sebastian schaute auf seine Hände hinunter. Seine Finger zitterten in seinem Schoss. »Ich träume immer wieder von dem Moment, in dem ich sie sah und erkannte, dass sie in eine Untote verwandelt worden war. Ihre Augen wurden nur ganz kurz rot und nahmen dann wieder das Aussehen wie bei einem normalen Sterblichen an.«
Die Augen eines Sterblichen, die er jedes Mal sah, wenn er Giulias Bruder anschaute. Max Pesaro.
»Deine Abneigung gegen ihn hat keinen Einfluss auf deine Arbeit als Venator... nachdem du jetzt zu uns zurückgekehrt bist«, meinte Wayren ruhig. Es überraschte ihn nicht weiter, dass sie wusste, welche Richtung seine Gedanken genommen hatten. »Ich finde das löblich.«
Abneigung? Das Gefühl, das Sebastian für Max Pesaro hegte, ging viel tiefer als schlichte Abneigung. Max war derjenige gewesen, der Giulia — und auch ihren alten, gebrechlichen Vater — in die Geheimgesellschaft eingeführt hatte, die sich dazu berufen fühlte, Vampiren zu helfen und sie zu schützen. Er hatte geglaubt, die Tutela könnte dabei helfen, ihr Leben zu verlängern. Ja, ihnen sogar durch die Vampire Unsterblichkeit verleihen.
Die schöne und sanfte Giulia hatte im Gegensatz zu ihrem Zwillingsbruder immer gekränkelt. Blass und zart wie sie war, hatte ihr unheilbarer Husten allen Sorge bereitet, die sie liebten.
In seinen großmütigeren Momenten hatte Sebastian fast Verständnis für die Absicht, die hinter Max' Vorgehen gestanden hatte, wie naiv sie auch gewesen sein mochte: seine Familie zu retten und zu schützen.
Aber dieses Einfühlungsvermögen schwand in der Regel, wenn Sebastian sich in Erinnerung rief, dass er wegen Max nicht nur die Frau verloren hatte, die er liebte, sondern er seinetwegen auch gezwungen gewesen war, sie der ewigen Verdammnis anheimzugeben, indem er ihr einen Pflock ins Herz trieb. Giulia war der zweite Vampir gewesen, den er erlegt hatte, und sie wurde die letzte Untote, die er umbrachte... bis zum vergangenen Herbst in Rom. Dazwischen lagen fast fünfzehn Jahre.
Sebastian merkte, dass er schon zu lange nichts mehr gesagt hatte, und schaute auf, wobei er feststellte, dass Wayrens Blick auf ihm ruhte. Ihre Miene, ihre ganze Haltung drückten Geduld und Zuneigung aus.
»Ich träume es immer wieder: dass ihre Augen rot werden und ihre Eckzähne... wachsen... und einen Moment später sieht sie wieder ganz normal aus. Wie eine Sterbliche. Unverändert. Aber ich bringe sie trotzdem um. Ich stoße ihr den Pflock ins Herz, während sie noch den Mund öffnet, um mich anzuflehen.« Er schluckte. »Und dann geht der Traum weiter, ohne dass ich sehen kann, ob sie sich in Asche verwandelt. Und ich frage mich, ob ich wohl einen Fehler gemacht habe... ob ich mich geirrt habe und sie gar keine Untote gewesen ist. Und ich sie völlig grundlos umgebracht habe.«
Es war ihm egal, dass seine letzten Worte gepresst und leise klangen, dass die Wut heiß in ihm loderte. Seine Augen brannten, und er kniff sie zusammen.
Und jetzt war er dabei, die zweite Frau, die er liebte, zu verlieren. An den Mann, den er hasste.
»Es heißt, dass die Seelen von Untoten der ewigen Verdammnis anheimfallen, wenn ihre körperliche Hülle zerstört wird«, sagte Wayren. Ihre Stimme behielt einen sanften, tröstenden Klang bei. Und trotz des inneren Aufruhrs, der Wut und des Schmerzes spürte Sebastian, wie so etwas wie Ruhe und Frieden über ihn kamen. »Und das ist auch der Grund, warum du dich vor Jahren von den Venatoren abgewandt hast, nicht wahr? Weil du glaubtest, dass du nicht das Recht hast, auch nur eine einzige Seele der ewigen Verdammnis preiszugeben.«
»Ja. Wie konnte ich mir anmaßen, dieses Urteil über jemanden zu verhängen? Woher sollte ich wissen, wer es verdiente? Denn wenn sie, als sie noch lebten, gute Menschen gewesen waren ...« Zu seinem großen Verdruss brach seine Stimme, so sehr nahmen ihn die Gefühle mit, die in ihm aufstiegen. Sebastian schluckte und zwang sich weiterzusprechen. »Wenn sie in ihrem wirklichen Leben gut gewesen sind, keine Schuld auf sich geladen haben, dann aber gegen ihren Willen in einen Untoten verwandelt wurden... was gab mir das Recht, sie
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