Das Buch der Vampire 05 - Sanfte Finsternis
Victoria war trotz ihrer rechtschaffenen Jagd auf die Untoten nicht vollkommen. Es versetzte ihr immer noch einen Stich, dass ihre beste Freundin, nachdem sie zum Vampir geworden war, nur deshalb Victorias Tod geplant hatte, weil sie — und nicht Gwen - Phillip de Lacys Aufmerksamkeit auf sich gezogen hatte, als die beiden Mädchen in die Gesellschaft eingeführt worden waren. Insofern fand Victoria das Gerede über Gwens Verschwinden nur gerecht.
»Wirklich?« Herzogin Winnies Augen wurden ganz groß. »Wie unpassend.«
»Darüber können wir später reden«, unterbrach Lady Melly das Gespräch, obwohl auch in ihren Augen das Interesse an diesem Skandal glitzerte. »Ich war gerade dabei, Victoria von dem neuen Rockley-Erben zu erzählen, den sie bestimmt sehr interessant finden wird. Natürlich weiß keiner genau, was dem vorherigen Rockley, unserem lieben James, zugestoßen ist, aber da er nun einmal spurlos verschwunden ist, haben die Anwälte nach dem Nächsten in der Erbfolge gesucht, falls er nicht zurückkehren sollte. Es heißt, Mr. Hubert de Lacy würde nächste Woche in London eintreffen, und ich halte es für sehr angebracht, wenn die Marquise von Rockley zu seinem Willkommensball erscheint.« Sie sah ihre Tochter an. »Er ist seit fünf Jahren Witwer. Er hatte eine Spanierin geheiratet und war nach dem Krieg auf dem Landsitz ihrer Eltern geblieben. Zwar ist er ein bisschen älter als dein lieber Rockley, Victoria, aber wie meine Mutter immer sagte: >Der Inhalt der Brieftasche ist wichtiger als der Zustand der Zähne<... oder so ähnlich.«
»Ein Willkommensball? Der Mann ist noch nicht einmal da, und du planst schon einen Ball für ihn?« Victoria musste unwillkürlich die Augen verdrehen, aber sie achtete darauf, dass ihre Mutter das undamenhafte Verhalten nicht sah.
»Ich bin nicht die Gastgeberin des Balls, meine Liebe«, erklärte Lady Melly überrascht. »Wenn irgendjemand aus der Familie dafür zuständig wäre, dann du. Aber da du dich ja nach Kräften deinen gesellschaftlichen Verpflichtungen entziehst, kann ich wohl nichts dazu sagen. Die Feier wird von Viscount Rutledge ausgerichtet, da er und Mr. de Lacy sich noch aus Oxford kennen... oder wo auch immer sie sich in ihrer Jugend kennen gelernt haben mögen.« Sie zog die Augenbrauen zusammen, während sie ihre Tochter ansah. »Ich hoffe, du erscheinst zu dem Ball, damit du den Mann kennen lernst, der aller Wahrscheinlichkeit nach der neue Earl von Rockley sein wird.«
»Mama, ich werde nicht wieder heiraten, also hör auf damit, mir jeden Junggesellen vorzustellen, der mal bei Hofe vorstellig geworden ist. Und davon abgesehen hat Rutledge einen Sohn, der nur zehn Jahre jünger ist als ich. Wenn er de Lacy also von der Universität her kennt, müssen die beiden im gleichen Alter sein. Wenn ich tatsächlich vorhaben sollte wieder zu heiraten, dann ganz bestimmt keinen Mann, der fünfzehn Jahre älter ist als ich!«
Sie stand auf. »Ich muss jetzt gehen — aber, Mama, wenn du so gern eine Hochzeit planen möchtest, warum erlöst du dann nicht Lord Jellington von seinem Elend und heiratest ihn?«
»Ja, genau, Melly«, mischte sich nun auch Lady Nilly ein. Victoria wusste nicht recht, ob sie der Busenfreundin ihrer Mutter leidtat oder ob sie eine so große Romantikerin war, dass sie es gern gesehen hätte, wenn Lady Melly noch einmal heiratete. Aber was auch immer hier der Fall sein mochte, sie freute sich über die Ablenkung und bewegte sich langsam auf die Tür zu.
»Auf gar keinen Fall«, erklärte Melly. »Ich...«
»Aber warum nicht, Melly?«, hakte die Herzogin nach und verteilte dabei großzügig Krümel auf dem ganzen Tisch. »Das wäre so ein Spaß, und Jellington ist ganz vernarrt in dich. Das ist er schon seit Jahren.«
»Ich habe kein Interesse daran, wieder zu heiraten«, erwiderte Melly und befand sich zur Abwechslung mal selbst in der Defensive.
»Aber denk doch nur an das Kleid, das du tragen könntest«, seufzte Nilly und presste eine Hand auf ihren nicht vorhandenen Busen.
»Und das Essen«, fügte die Herzogin hinzu. »Ich würde dir sogar meinen Koch für das Hochzeitsbankett ausleihen.«
Victoria tastete nach dem Türknauf und drehte ihn leise.
Melly schaute nicht mehr in ihre Richtung, sondern wurde jetzt völlig von dem Bombardement ihrer Freundinnen in Anspruch genommen.
Victoria nutzte die seltene Gelegenheit, einmal nicht im Zentrum der Aufmerksamkeit ihrer Mutter zu stehen, und huschte aus dem Raum,
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