Das Buch der Vampire 05 - Sanfte Finsternis
war leer. Und unbenutzt.
Er war nicht da.
Sie trat aus dem Zimmer wieder in den Flur. Dabei spürte sie einen unangenehmen Druck im Magen, und ihre Handflächen waren plötzlich feucht.
Sie kam sich albern vor.
Langsam ging sie wieder die Treppe hinunter und dann noch ein Stockwerk tiefer, nach unten ins Erdgeschoss. Sie befand sich jetzt in der Nähe der Küche im hinteren Teil des Hauses. Zwar hatte sie keinen Hunger, aber dennoch ging sie durch die Küche in den vorderen Teil des Hauses. Mittlerweile war sie hellwach und in Alarmbereitschaft, und plötzlich erkannte sie warum.
Die Härchen auf ihren Armen stellten sich auf, und ihre eben noch lässigen Bewegungen wurden bewusster und geräuschlos. Das Geräusch, das sie gehört hatte, war entweder ein Klirren oder ein dumpfes Kratzen gewesen.
Kein Vampir - denn sie verspürte kein Frösteln. Vielleicht Kritanu oder Charley oder...
Victoria drückte den Rücken durch und ging durch den Flur weiter zum Salon. Das Herz schlug ihr bis zum Hals.
Gelber Lichtschein drang durch den Spalt unter der Tür... gelb und unauffällig. Sie drehte den Knauf und stieß die Tür auf.
Max saß in Tante Eustacias Lieblingssessel neben dem Tischchen, auf dem ihre Pflöcke gelegen hatten. Als Victoria das Glas mit der bernsteinfarbenen Flüssigkeit sah, wusste sie, woher das Geräusch gekommen war, das sie gehört hatte. Daneben stand eine bauchige Karaffe. Er hob den Kopf, dessen eine Seite von der Lampe in goldenes Licht getaucht war, während die andere im Schatten lag. Sein weißes Hemd mit dem aufgeknüpften Halstuch, das er um die Schultern geschlungen hatte, schimmerte im schwachen Lichtschein.
»Was willst du?«
Sie trat über die Schwelle und blieb dicht bei der Wand stehen, während sie spürte, dass Wut... und etwas anderes in ihr hochkam. Sie ließ die Tür nicht los, trat aber in das wundervolle Mondlicht, das durch das Seitenfenster in den Raum fiel. »Ich konnte nicht schlafen.«
Sein Blick glitt kurz über sie, und sie sah, wie er die Lippen aufeinanderpresste. »Geh weg, Victoria.«
»Max.«
Da schaute er sie direkt an, und die Bitterkeit, die sie in seiner Miene sah, raubte ihr fast den Atem. Es war der gleiche Ausdruck, der auch heute Nachmittag auf seinem Gesicht gelegen hatte. Die gleiche kalte Wut, die ihn erfüllt hatte, nachdem sie ihn vor drei Wochen mit salvi betäubt hatte.
»Du hast dich mit Vioget geeinigt. Warum bist du hier?«
Es hatte keinen Sinn, sich zu fragen, woher er wusste, dass sie
Sebastian besucht hatte; das hatte sie schon vor langer Zeit bei ihm akzeptiert. Max wusste alles.
»Ja...«, setzte sie an, aber er ließ sie gar nicht erst zu Ende reden.
»Geh. Weg.« Seine Worte waren kaum mehr als ein Hauch.
Sie trat einen Schritt näher und spürte dabei, wie sich der Stoff ihres Gewands um ihre Beine legte. Sie wusste, was er sah, während das Mondlicht von hinten auf sie fiel: Der spinnwebfeine Stoff enthüllte ihren Körper von oben bis unten, während ihr die üppigen Locken über den Rücken fielen. Victoria war völlig klar, was für ein Bild sie abgab.
Sie brauchte alle Hilfe, die sie bekommen konnte.
»Max, ich habe in deinem Zimmer nach dir gesucht.«
»Offensichtlich.« Seine dunklen Augen glitten über sie, und irgendwie gelang es ihm, dabei kalt und gleichzeitig arrogant zu wirken. »Ich habe kein Interesse an dem, was Vioget übrig gelassen hat. Oder ist es dir egal, wer der Vater deines Kindes ist?«
Also wusste er auch, dass sie aufgehört hatte, den Trank zu nehmen. Auch das überraschte Victoria nicht weiter. Sie hatte ihm gesagt, dass sie die Absicht hatte, und Max wäre nicht Max gewesen, wenn er sich nicht vergewissert hätte. Aber das andere, was er ihr da vorwarf...
»Was Vioget übrig gelassen hat?« Sie lachte kurz auf und versuchte, sich von seiner kalten Stimme nicht zu tief treffen zu lassen. »Max, sei kein...«
»Oder hat jemand anders seine Spuren auf deinem Hals hinterlassen?« Die ganze Zeit erhob er nicht ein Mal seine Stimme. Sie war leise und tonlos. Kalt.
Unwillkürlich griff Victoria nach ihrer Schulter, wo Sebastian tatsächlich bei ihrem Treffen einen kleinen blauen Fleck hinterlassen hatte. Max konnte ihn jetzt gar nicht sehen, weil er von ihrem Haar bedeckt wurde. Aber am Nachmittag...
»Ich sage es jetzt zum letzten Mal. Geh.«
Seine Augen waren fast völlig schwarz, nur in der Mitte schimmerten sie etwas. Obwohl das Glas mit Whiskey neben ihm stand, griff er nicht danach.
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