Das Buch der Vampire 05 - Sanfte Finsternis
nicht glauben konnte, dass es vorbei war, dauerte es etwas, bis sie den Geruch erkannte. Asche. Untote Asche.
Dann klirrte das Eisengitter, und plötzlich war Max da.
Er stand aus eigener Kraft, verschwitzt, voller Blessuren und Blut, aber er stand. Aus eigener Kraft. Groß, beeindruckend, blutüberströmt und mit noch nicht einmal einem Anflug der Erschöpfung, die sie bei ihm bemerkt hatte, als er in den Raum hereingekommen war. Gott sei Dank.
Der Vampir hatte sich aufgelöst, seine Asche schwebte noch in der Luft, und Max hielt einen Pflock in der Hand. Nicht den langen schwarzen, den er mitgebracht hatte, sondern einen kürzeren.
Mit dem hatte er dem Vampir offensichtlich den Todesstoß versetzt.
Erleichterung und Freude erfassten sie, und sie drängte sich an Brim und Michalas vorbei, um an Max' Seite zu gelangen.
Doch er sah Victoria nicht an, außer als sein Blick zufällig über sie glitt, als er ihn auf Wayren richtete.
»Du hast es geschafft«, sagte die blonde Frau zu Max. »Herzlichen Glückwunsch.«
Er nickte, und ein Lächeln, das seine Erleichterung zeigte, erhellte sein Gesicht. Sie reichte ihm einen Becher, aus dem er einen langen Schluck nahm.
Victoria beobachtete, wie ein bisschen Wasser über seinen Kiefer, den Hals hinunter bis zu seiner schweißnassen, blutigen Brust rieselte. Als er fertig getrunken hatte, gab er den Becher Wayren zurück und ließ sich ein Tuch geben.
Er sah sie nicht an.
Victoria stand da, genau vor ihm, und er wich ihrem Blick aus. Ja, ließ ihn noch nicht einmal kurz über sie schweifen.
Sie trat zurück, und all ihre Freude und Erleichterung darüber, dass er es geschafft hatte, verwandelten sich in Verwirrung und Schmerz. Ihr Mund wurde ganz trocken, und wieder kam die Wut auf Sebastian in ihr hoch. Er hatte sich entfernt und hinter die anderen zurückgezogen, als würde er sich für das, was er getan hatte, schämen. Was nur recht und billig war.
Was hatte Max gesehen, als der Vampir sich auf ihn stürzte, um ihm den Garaus zu machen? Wie sie in Sebastians Armen lag - ob nun freiwillig oder nicht, hatte er nicht wissen können.
Es wäre das Letzte gewesen, was er sah. Was dachte er? Dass sie sich in Sebastians Arme gestürzt hatte, als es so aussah, als wäre alles vorbei?
Victoria spürte, wie Wut in ihr hochkam. Auf beide.
Max lächelte eigentlich nicht richtig, aber die Linien um seinen Mund und die Augen hatten sich ein bisschen entspannt, und auch wenn er sie nicht ansah, spürte Victoria die Kraft und ein neu erstarktes Selbstwertgefühl bei ihm. Sie erkannte, ohne es gesagt zu bekommen, dass er die Kraft, die einem die vis bulla verlieh, zurückgewonnen hatte.
Aber er hatte die Prüfung doch gar nicht beendet. Wie konnte das also sein?
Die zarte Hoffnung, die in ihr gekeimt war, verflüchtigte sich. Der letzte Teil der Prüfung stand noch aus, in welchem die vis erst in Weihwasser, dann in das Blut des Vampirs getaucht wurde, um schließlich in den Körper des zukünftigen Venatoren gestochen zu werden.
Aber dann bekam sie mit, wie Max sich mit Brim und Michalas unterhielt und gerade dabei war zu erklären. »Ylito meinte auch, dass ich versuchen sollte, Vampirblut während des Kampfes auf die vis zu reiben... und es hat funktioniert.«
»Ich hatte gesehen, dass du kurz vorher Weihwasser auf die vis geträufelt hast«, erwiderte Brim. »Mir war gar nicht klar, wofür das sein sollte.«
»Du hast also deine alten Kräfte und Fähigkeiten wieder zurück?«, fragte Michalas.
Max nickte. »Voll und ganz.« Er schüttete sich Wasser über den Kopf, wischte über sein mit dunklen Bartstoppeln bedecktes Gesicht, um sich dann den Rest Wasser auf die Brust zu kippen. Dabei sah er kein einziges Mal in Victorias Richtung.
Trotz Wut und Verwirrung biss sie sich auf die Unterlippe, als sie das vertraute Kribbeln in ihrem Bauch spürte. Sie beobachtete, wie er sich mit einem Handtuch trocken rieb, wobei er viel Dreck und Blut wegwischte. Deutlich war das geschmeidige Spiel der Muskeln unter der Haut zu sehen, die jetzt vom Wasser glänzte.
Als er das saubere Hemd nahm, das Wayren ihm reichte, war da wieder dieser ganz kurze, zufällige Blick zu Victoria. Er verweilte kaum, und wäre da nicht diese Ausdruckslosigkeit in seinen Augen gewesen, mit der sie rechnete, nachdem er sie und Sebastian dabei gesehen hatte, wie sie einander in den Armen lagen...
Ein unpersönlicher Blick, als würde er sie nicht kennen.
Keine Wut, dass sie zu einem anderen
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