Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Buch der Verdammnis (German Edition)

Das Buch der Verdammnis (German Edition)

Titel: Das Buch der Verdammnis (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Schuberth
Vom Netzwerk:
aus den Lautsprechern, ich begann unwillkürlich den Takt mitzusummen, das Bier schmeckte auf einmal besser als vorher, eine Magie lag auf dem Augenblick.
    Sie saß am anderen Ende des Tresens, vor ihr stand ein Martiniglas und sie schaute gedankenverloren in den Spiegel hinter der Getränkebatterie.
    Ihr langes, blondes Haar fiel in Locken auf ihre Schulter. Das fein geschnittene Gesicht hatte indianische Züge und unter ihrem engen roten Kleid zeichneten sich ihre fraulichen Formen ab.
    Sie war so schön, dass es mir den Atem nahm und ich starrte sie einfach nur an und fragte mich, wie lange sie schon da saß.
    Dann wendete sie den Kopf und sah mich an. Ihre Augen blieben auf mir ruhen, sie blickte mich direkt an und mein Herz machte einen Sprung.
    Mir war, als würden mich ihre Augen führen, als ich meine Bierflasche nahm, aufstand und zu ihr ging.
    „ Hallo“, sagte ich.
    „ Hallo.“ Sie hatte eine weiche, verschlafene Stimme.
    „ Ich hab Sie von dort gesehen und hab mich gefragt, ob ich mich wohl zu Ihnen setzen könnte.“
    „ Und jetzt sind Sie da.“
    „ Ich heiße Leon.“
    „ Mein Name ist Helen.“ Sie lächelte.
    „ Helen“, wiederholte ich.
    Ich war immer noch verzaubert von ihrem Anblick und mir kam es völlig natürlich vor, dass diese Frau vor mir Helen war. Helen, die einzige Frau, bei der Hank Lesters Verführungskünste versagt hatten. Und ich wunderte mich nicht, dass sie genau so war, wie ich sie beschrieben hatte: die blonden Haare, die verschlafene Stimme und die kleine Narbe auf ihrem Handrücken.
    Ich schob es auf die Magie des Augenblicks und wollte nicht fragen. Fragen würden den Augenblick nur zerstören.
    „ Ich habe Sie hier noch nie gesehen“, sagte ich.
    „ Ich war auch noch nie hier.“
    Sie sah sich um, als würde sie den Raum zum ersten Mal sehen. Ihr Blick hatte etwas Verwirrtes.
    „Kennen wir uns?“, fragte sie.
    Ich schüttelte den Kopf.
    „Sie hätte ich bestimmt nicht vergessen, wenn ich Ihnen schon begegnet wäre.“
    Sie lächelte wieder. Ich musste schlucken.
    „Glauben Sie, dass es eine Bestimmung gibt?“
    „ Ich weiß nicht“, sagte ich.
    „ Ich habe auf einmal das ganze starke Gefühl, dass es kein Zufall ist, dass wir uns hier treffen. Noch gestern hatte ich mir nicht vorstellen können, heute hier auf dieser Party zu sein.“
    „ Wo waren Sie denn gestern?“
    Sie blickte nachdenklich vor sich hin.
    „Ich weiß es nicht.“
    „ Was heißt das, Sie wissen nicht, wo Sie gestern waren.“
    „ Ich weiß es einfach nicht“, sagte sie.
    Ihr Gesicht zeigte keine Regung, als sie das sagte. Es schien sie nicht zu bekümmern, dass sie keine Erinnerung an den letzten Tag hatte.
    „Lieben Sie Denkspiele“, fragte sie plötzlich.
    „ Ja“, sagte ich überrascht. „Ich bin ein Fan von Denkspielen. Aber in meinem Bekanntenkreis komme ich damit nicht so gut an. Die finden das alle furchtbar langweilig.“
    Sie kicherte.
    „Wenn ich einem Mann ein Denkrätsel stelle, ist er ganz schnell verschwunden. Männer mögen kluge Frauen nicht so sehr.“
    „ Bei mir ist das so, wenn ich ein Gedicht von mir erzählen will.“
    „ Sie schreiben Gedichte?“ Ihre Stimme klang auf einmal aufgeregt. Ich nickte.
    „ Ich liebe Gedichte.“ Sie sagte das mit einem Ton, als würde sie mir ihren geheimsten Wunsch mitteilen.
    „ Und ich liebe kluge Frauen. Sogar sehr.“
    Eine Frau mit einem umwerfenden Aussehen, die Denkspiele und Gedichte liebte. Ich hatte nicht geglaubt, dass ich so viel Glück haben könnte.
    „ Möchten Sie eines meiner Lieblingsdenkspiele hören?“, fragte sie.
    „ Oh ja.“ 
    „ Gut.“ Sie stellte ihr Martiniglas neben meine Bierflasche. „Stellen Sie sich vor, Ihre Bierflasche ist voll und mein Martiniglas auch. Ich nehme jetzt von dem Martini einen Löffel und gebe es in Ihr Bier. Und rühre dann das Ganze um. Und dann nehme ich von der Mischung einen Löffel und gebe es in mein Martiniglas. Und rühre es wieder gut durch. Wird man dann mehr betrunken, wenn man von der Flasche Bier trinkt oder von dem Martiniglas?“
    Mein Blick wanderte von ihrem Martiniglas zu meiner Bierflasche. Das war ein verdammt kniffliges Denkspiel. Sie schaute mich erwartungsvoll an. Ich durfte jetzt nicht versagen, nicht vor einer Frau, die Denkspiele und Gedichte liebte.
    Plötzlich fing sie an zu lachen. Sie machte dabei Geräusche, wie wenn man den Motor eines Rennwagens abwürgt, aber für mich klang es wie Musik.
    „ Das war nur ein Spaß“, sagte sie.

Weitere Kostenlose Bücher