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Das Buch der verlorenen Dinge

Das Buch der verlorenen Dinge

Titel: Das Buch der verlorenen Dinge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Connolly
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Eingeweide der toten Räuber kämpften. Eine Wölfin näherte sich ihnen von der Straße, ein blutiges Stoffstück in ihren Fängen. Der Geschmack des Blutes ließ ihr das Wasser im Munde zusammenlaufen, und sie musste sich zusammenreißen, um den Fetzen nicht genüsslich zu verschlingen. Sie legte ihn vor ihrem Anführer in den Schnee und trat unterwürfig zurück. Leroi hob das Stoffstück auf und schnupperte daran. Der Blutgeruch des toten Mannes war stark und stechend, aber darunter konnte er dennoch die Fährte des Jungen ausmachen.
    Das letzte Mal hatte Leroi den Jungen im Innenhof der Festung gewittert, wohin seine Kundschafter ihn geführt hatten. Sie hatten sich geweigert, den Turm zu erklimmen, voller Angst vor dem, was im Innern lauerte, doch Leroi war hinaufgegangen, mehr um den anderen seinen Mut zu beweisen als aus dem Wunsch heraus zu erfahren, was sich dort oben befand. Nach der Zerstörung des Zauberbanns war der Turm nur noch eine leere Hülle in der Mitte einer alten Festung. Das Einzige, was Leroi fand, war ein steinerner Saal ganz oben unter dem Dach, übersät mit den Überresten toter Männer und einem Haufen Staub, der einst etwas Menschenähnliches und doch Unmenschliches gewesen war. In der Mitte befand sich ein erhöhtes Podest, auf dem die Leichname von Roland und Raphael aufgebahrt waren. Leroi erkannte Rolands Geruch und wusste, dass der Beschützer des Jungen jetzt tot war. Er war kurz versucht, die beiden Toten zu zerfetzen, ihre Ruhestätte zu entweihen, doch so etwas tat nur ein Tier, und er war kein Tier mehr. Also ließ er die beiden unberührt liegen, und obwohl er es gegenüber seinen Kundschaftern niemals zugegeben hätte, war er erleichtert, als er den Saal und den Turm verließ. Dort lagen Dinge in der Luft, die er nicht verstand, und das war ihm unbehaglich.
    Als er jetzt den blutigen Stofffetzen in den Klauen hielt, verspürte er eine gewisse Bewunderung für den Jungen, den er jagte. Wie schnell du erwachsen geworden bist, dachte Leroi. Es ist noch gar nicht lange her, da warst du ein verängstigtes Kind, und nun siegst du, wo Ritter scheitern. Du nimmst Männern das Leben und wischst deine Klinge ab, damit sie wieder bereit ist zum Töten. Fast ist es schade, dass du sterben musst.
    Mit jedem Tag, der verging, wurde Leroi mehr Mensch und weniger Wolf, oder zumindest glaubte er das. Sein Körper war noch immer mit drahtigem Haar bedeckt, und er hatte spitze Ohren und Zähne, aber seine Schnauze war kaum mehr als eine leichte Schwellung um seinen Mund, und sein Gesicht nahm immer mehr menschliche Züge an. Er ging kaum noch auf allen vieren, nur wenn Schnelligkeit gefragt war oder wenn die Erregung beim Aufspüren der Fährte des Jungen übermächtig wurde. Das war einer der Vorzüge, wenn man so viele Untergebene hatte: Der Schnee hatte zwar den Geruch des Jungen und seines Begleiters und sogar den des Pferdes, der sehr viel stärker war, an vielen Stellen überdeckt, aber dank der zahlreichen Kundschafter fanden sie die Fährte immer recht bald wieder. Sie hatten sie bis zu dem Dorf verfolgt, und Leroi war versucht gewesen, es mit dem gesamten Rudel zu überfallen, doch dann hatten ein paar von seinen Leuten die Spur des Mannes und des Pferdes auf der Straße nach Osten entdeckt, und da hatten sie gewusst, dass die drei nicht mehr bei den Dorfleuten waren. Einige seiner Loups hatten dennoch zum Überfall auf das Dorf geraten, da das Rudel hungrig war, doch Leroi war überzeugt, dass sie damit nur Zeit verloren. Außerdem passte es durchaus in seine Pläne, die Wölfe hungrig zu halten, denn dadurch würden sie beim Angriff auf die Burg des Königs umso wilder kämpfen. Er dachte an den Mann, der hinter der Schutzmauer des Dorfes gestanden und ihn mit erhobenem Kopf angesehen hatte, während alle anderen in Deckung gegangen waren. Leroi hatte diese Geste bewundert, so wie er viele Aspekte des menschlichen Wesens bewunderte. Das war einer der Gründe, weshalb ihm seine Verwandlung so zusagte, aber es würde ihn nicht davon abhalten, zu dem Dorf zurückzukehren und an dem Mann, der ihn herausgefordert hatte, ein Exempel zu statuieren.
    Das Rudel hatte etwas an Boden verloren, als der Junge und der Mann die Straße verlassen hatten, denn Leroi war davon ausgegangen, dass sie direkt zur Burg des Königs reiten würden, und ein halber Tag war vergangen, bis er seinen Irrtum bemerkt hatte. Es war reines Glück gewesen, dass David dem Rudel entgangen war, als er die Festung

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