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Das Buch der verlorenen Dinge

Das Buch der verlorenen Dinge

Titel: Das Buch der verlorenen Dinge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Connolly
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verließ, denn die Wölfe hatten aus Furcht vor den verborgenen Wesen, die in den Bäumen hausten, einen Bogen um das dichteste Waldstück geschlagen, als sie sich der Festung näherten. Nachdem Leroi sich überzeugt hatte, dass im Innern nur Tod und Verfall hausten, hatte er einem Dutzend Kundschaftern befohlen, Davids Fährte durch den Wald zu folgen, während das restliche Rudel sich auf einem längeren, aber sichereren Weg weiter auf die Burg des Königs zubewegte. Als die Kundschafter wieder auf das Rudel trafen, waren nur noch drei von ihnen am Leben. Sieben waren von den Wesen in den Bäumen getötet worden. Die anderen beiden – und das machte Leroi hellhörig – waren mit aufgeschlitzter Kehle und abgehackter Schnauze aufgefunden worden.
    »Der Krumme Mann wacht über den Jungen«, knurrte einer von Lerois Vertrauten, als er die Nachricht hörte. Auch er nahm menschliche Züge an, wenngleich seine Verwandlung langsamer und weniger ausgeprägt vonstatten ging.
    »Er glaubt, er hat einen neuen König gefunden«, erwiderte Leroi. »Aber wir werden der Herrschaft der Menschenkönige ein Ende setzen. Der Junge wird niemals den Thron erklimmen.«
    Er bellte einen Befehl, und seine Loups begannen knurrend und beißend das Rudel zusammenzutreiben. Ihre Zeit nahte. Die Burg war nicht einmal mehr einen Tagesmarsch entfernt, und sobald sie sie erobert hatten, würde es Fleisch genug für alle geben, und die blutige Herrschaft des neuen Königs Leroi würde beginnen.
    Auch wenn Leroi sich mehr und mehr vom Tier entfernte und dem Menschen ähnlicher wurde, würde er tief in seinem Innern doch immer ein Wolf bleiben.

27
    Von der Burg und dem Empfang beim König
     
     
     
    Der Tag neigte sich dem Ende zu, ein trübseliges, träges Ding, das beinahe dankbar war, von der Nacht abgelöst zu werden. David war gedrückter Stimmung, und sein Rücken und seine Beine schmerzten von den langen Stunden im Sattel. Immerhin war es ihm gelungen, die Steigbügel auf die passende Länge einzustellen, und von Roland hatte er sich abgeschaut, wie man die Zügel richtig hielt. Nun saß er besser auf Scylla als je zuvor, auch wenn das Pferd zu groß für ihn war. Es fielen nur noch vereinzelte Flocken vom Himmel, und bald würde es ganz aufhören zu schneien. Die Landschaft schien in der weißen Stille zu schwelgen, als wüsste sie, dass der Schnee sie schöner machte.
    Die Straße führte um eine Kurve, und auf einmal schimmerte der Horizont vor ihnen in einem weichen, gelblichen Licht. Da wusste David, dass die Burg des Königs nah war. Neue Energie erwachte in ihm, und er trieb Scylla an, obwohl sie beide erschöpft und hungrig waren. Scylla trabte los, als könne sie bereits frisches Heu und Wasser und eine warme Scheune schnuppern, doch fast im gleichen Moment zügelte David sie wieder und lauschte aufmerksam. Er hatte etwas gehört, das wie das Heulen des Windes klang, nur dass es vollkommen windstill war. Scylla schien es ebenfalls zu spüren, denn sie wieherte und scharrte nervös mit den Hufen. David tätschelte ihre Flanke, um sie zu beruhigen, während er merkte, wie sich dafür Anspannung in ihm ausbreitete.
    »Schhh, Scylla«, flüsterte er.
    Da war das Geräusch wieder, diesmal klarer. Es war das Heulen eines Wolfes. David konnte nicht sagen, wie weit es entfernt war, weil der Schnee alle Geräusche dämpfte, aber allein dass man es hören konnte, war für seinen Geschmack bereits zu nah. Im Wald zu seiner Rechten bewegte sich etwas, und David zog das Schwert, vor seinem inneren Auge bereits weiße Zähne und eine rosa Zunge und gierig schnappende Fänge. Doch es war der Krumme Mann. Er trug eine schmale, gebogene Klinge in der Hand. David richtete sein Schwert auf die näher kommende Gestalt und zielte mit der Spitze auf die Kehle des Krummen Mannes.
    »Steck dein Schwert wieder ein«, sagte der Krumme Mann. »Von mir hast du nichts zu befürchten.«
    Doch David ließ sein Schwert genau da, wo es war. Erfreut sah er, dass sein Arm nicht zitterte. Der Krumme Mann hingegen fand Davids Mut alles andere als erfreulich.
    »Gut«, sagte er, »wie du willst. Die Wölfe kommen. Ich weiß nicht, wie lange ich sie aufhalten kann, aber ich denke, du hast Zeit genug, die Burg des Königs zu erreichen. Bleib auf der Straße und lass dich nicht zu irgendwelchen Abkürzungen verleiten.«
    Wieder ertönte das Geheul, näher diesmal.
    »Warum hilfst du mir?«, fragte David.
    »Ich habe dir die ganze Zeit geholfen«, erwiderte der Krumme

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