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Das Buch der verlorenen Dinge

Das Buch der verlorenen Dinge

Titel: Das Buch der verlorenen Dinge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Connolly
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waren sie von Höflingen umgeben, gewichtig aussehenden Männern mit Gold um den Hals und Papieren in den Händen. In ihren Gesichtern spiegelten sich unterschiedliche Gefühle, als sie David erblickten: Freude, Sorge, Misstrauen, sogar Furcht. Schließlich kamen Duncan und David zu einer großen, zweiflügeligen Tür mit geschnitzten Drachen und Tauben. Rechts und links davon standen zwei Wachen, jede mit einer langen Pike bewaffnet. Als David und Duncan sich näherten, öffneten die Wachen ihnen die Flügeltür, und dahinter erstreckte sich ein großer Saal mit marmornen Säulen und kunstvoll gewebten Teppichen auf dem Boden. Üppige Wandbehänge mit Darstellungen von Schlachten und Hochzeiten, Begräbnissen und Krönungen verliehen dem Raum ein Gefühl von Wärme. Die Höflinge und Soldaten, die in dem Saal versammelt waren, wichen zur Seite und ein Gang entstand. Duncan und David schritten hindurch, bis sie zum Fuß des Thrones gelangten, der auf einem Podest am Ende des Raumes stand. Auf dem Thron saß ein sehr alter Mann. Er trug eine goldene Krone mit roten Edelsteinen, aber sie schien schwer auf seinem Kopf zu lasten, denn dort, wo das Metall die Stirn berührte, war die Haut wund. Die Augen des Mannes waren halb geschlossen, und er atmete nur ganz flach.
    Duncan sank auf ein Knie und neigte den Kopf. Er zupfte David am Hosenbein, als Zeichen, dass er es ihm gleichtun sollte. Da David noch nie vor einem König gestanden hatte und nicht wusste, wie er sich verhalten sollte, folgte er Duncans Beispiel. Allerdings spähte er verstohlen unter seinen Stirnfransen hervor, um den alten Mann betrachten zu können.
    »Euer Majestät«, sagte Duncan. »Er ist hier.«
    Der König rührte sich und öffnete die Augen ein wenig weiter.
    »Komm näher«, sagte er zu David.
    David zögerte. Er wusste nicht, ob er aufstehen oder auf den Knien vorrutschen sollte, keinesfalls wollte er jemanden kränken oder sich Ärger einhandeln.
    »Du darfst dich erheben«, sagte der König. »Komm her, dass ich dich anschauen kann.«
    David stand auf und trat an das Podest. Der König winkte ihn mit seinem knochigen Zeigefinger zu sich, und so stieg David die Stufen hinauf, bis er direkt vor dem alten Mann stand. Unter großen Mühen beugte der König sich vor und legte David die Hand auf die Schulter. Er stützte sich mit seinem ganzen Gewicht auf den Jungen, doch er wog fast nichts, und David musste an die leeren Hüllen der Ritter in der Dornenfestung denken.
    »Du hast einen weiten Weg zurückgelegt«, sagte der König. »Nur wenige Männer hätten das geschafft, was du vollbracht hast.«
    David wusste nicht, was er darauf sagen sollte. »Danke«, schien ihm nicht so recht zu passen, und davon abgesehen war er auch nicht besonders stolz auf sich. Roland und der Förster waren tot, und die Leichen der beiden Räuber lagen irgendwo im Straßengraben, unter dem Schnee verborgen. Er fragte sich, ob der König das auch wusste. Für jemanden, der angeblich die Herrschaft über sein Reich verlor, schien der König eine ganze Menge zu wissen.
    Schließlich entschloss sich David, ihm zu erwidern: »Ich freue mich, hier zu sein, Euer Majestät«, und er stellte sich vor, wie beeindruckt Roland von seiner Diplomatie gewesen wäre.
    Der König lächelte und nickte, als sei es gar nicht möglich, dass jemand sich nicht freute, bei ihm zu sein.
    »Euer Majestät«, begann David. »Man hat mir gesagt, Ihr könntet mir helfen, nach Hause zurückzukommen. Es heißt, Ihr hättet ein Buch, in dem – «
    Der König hob die faltige Hand, deren Rücken von einem Gewirr dunkler Adern durchzogen und mit braunen Flecken gesprenkelt war.
    »Alles zu seiner Zeit«, sagte er. »Alles zu seiner Zeit. Jetzt musst du erst einmal etwas essen und dich ausruhen. Morgen früh unterhalten wir uns weiter. Duncan wird dir dein Zimmer zeigen. Es ist nicht weit von hier.«
    Damit war Davids erste Audienz beim König beendet. Er entfernte sich rückwärts vom Thron, weil er annahm, dass es als unhöflich gelten könnte, dem König den Rücken zuzudrehen. Duncan nickte ihm wohlwollend zu, dann erhob er sich ebenfalls und verneigte sich vor dem König. Er ging mit David zu einer kleinen Tür rechts neben dem Thron. Von dort führte eine Treppe hinauf zu einer Galerie, die innen um den Saal herumlief und von der zahlreiche Türen abgingen. Hinter einer davon lag Davids Zimmer. Es war sehr geräumig, mit einem großen Bett auf der einen Seite, einem Tisch mit sechs Stühlen in

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