Das Buch der verlorenen Dinge
der Mitte und einem Kamin auf der anderen Seite. Drei kleine Fenster gingen auf den Fluss und die Straße hinaus. Auf dem Bett lagen saubere Kleider, und der Tisch war üppig gedeckt: gebratenes Huhn, Kartoffeln, drei Arten Gemüse und frisches Obst als Nachtisch. Außerdem stand ein Krug Wasser bereit, und ein Steingutbecher mit etwas, das wie warmer Wein roch. Vor dem Kamin war eine große Wanne aufgestellt, mit einem Kohlenbecken darunter, um das Wasser zu erhitzen.
»Iss, so viel du möchtest, und dann schlaf«, sagte Duncan. »Ich komme morgen früh wieder zu dir. Wenn du irgendetwas brauchst, zieh an der Glocke neben dem Bett. Ich werde die Tür nicht abschließen, aber bitte verlass dieses Zimmer nicht. Du kennst dich in der Burg nicht aus, und wir wollen ja nicht, dass du dich verläufst.«
Duncan verneigte sich, dann ging er. David zog die Schuhe aus. Er verspeiste fast das ganze Huhn und den größten Teil des Obstes, und er kostete auch von dem warmen Wein, aber der schmeckte ihm nicht. In einer kleinen Kammer neben dem Bett fand er eine Holzbank mit einem runden Loch darin, die offenbar als Toilette fungierte. Der Gestank darin war furchtbar, trotz der Blumen- und Kräutersträuße, die an den Wänden aufgehängt waren. Mit angehaltenem Atem verrichtete David sein Geschäft, so schnell er konnte, und holte erst wieder Luft, als er die Tür hinter sich zugeschlagen hatte. Er legte das Schwert und die Kleider ab und wusch sich in der Wanne, dann schlüpfte er in das steife Nachthemd, das man ihm hingelegt hatte. Bevor er unter die Decke schlüpfte, ging er zur Tür und öffnete sie leise. Der Thronsaal unten war jetzt verlassen, aber ein Wachmann patrouillierte über die Galerie, den Rücken zu David gekehrt, und auf der gegenüberliegenden Seite ging ein zweiter auf und ab. Die dicken Mauern verschluckten alle Geräusche, sodass es schien, als wären er und die beiden Wachleute die einzigen Menschen in der ganzen Burg. David schloss die Tür wieder und sank erschöpft ins Bett. Innerhalb von Sekunden schlief er tief und fest.
Plötzlich wachte David auf, und einen Moment lang wusste er nicht, wo er war. Erst dachte er, er wäre wieder zu Hause in seinem Bett, und blickte sich suchend nach seinen Büchern und Spielen um, doch sie waren nicht da. Dann kam die Erinnerung zurück. Er setzte sich auf und sah, dass jemand Feuerholz nachgelegt hatte, während er schlief. Die Überreste der Mahlzeit waren abgeräumt worden. Sogar die Wanne mit dem Kohlenbecken darunter war entfernt worden, und das alles, ohne seinen Schlaf zu stören.
David hatte keine Ahnung, wie spät es war, aber er nahm an, dass es mitten in der Nacht sein musste. Die Burg schien zu schlafen, und als er aus dem Fenster schaute, sah er den fahlen Mond inmitten eines dünnen Wolkenschleiers. Etwas hatte ihn geweckt. Er hatte von zu Hause geträumt, und in dem Traum hatte er Stimmen gehört, die nicht dazu passten. Anfangs hatte er versucht, sie in seinen Traum einzubauen, so wie das Klingeln des Weckers manchmal zu einem Telefonklingeln wurde, wenn er sehr müde war und sehr fest schlief. Doch jetzt, als er wach in dem weichen Bett saß, umgeben von lauter Kissen, vernahm er ganz deutlich das Gemurmel zweier Männerstimmen, und er war sicher, dass jemand seinen Namen ausgesprochen hatte. Er schlug die Decke zurück und schlich zur Tür. Er versuchte, durch das Schlüsselloch zu lauschen, doch die Stimmen waren zu leise, um zu verstehen, was gesagt wurde, und so öffnete er vorsichtig die Tür und spähte hinaus.
Die beiden Wachleute auf der Galerie waren verschwunden. Die Stimmen kamen aus dem Thronsaal darunter. David huschte zum Geländer, versteckte sich hinter einer großen Silbervase mit Farnblättern und blickte nach unten. Einer der beiden Männer war der König, aber er saß nicht auf seinem Thron, sondern auf den Steinstufen davor, und er trug einen purpurroten Morgenmantel und darunter ein weißes Nachthemd mit Goldstickerei. Die obere Hälfte seines Kopfes war vollkommen kahl und mit braunen Flecken gesprenkelt. Dünne weiße Haarsträhnen hingen ihm über die Ohren und auf den Kragen seines Morgenmantels, und er zitterte in der Kälte des großen Saals.
Auf dem Thron saß der Krumme Mann, die Beine zum Schneidersitz gefaltet, die Fingerspitzen nachdenklich aneinandergelegt. Etwas, das der König gesagt hatte, schien ihm nicht zu passen, denn er spuckte erbost auf den Boden. David hörte, wie der Speichel auf dem Stein
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