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Das Buch der verlorenen Dinge

Das Buch der verlorenen Dinge

Titel: Das Buch der verlorenen Dinge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Connolly
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hatte ihm gesagt, falls er sich einmal verlief, sollte er sich einen Polizisten suchen oder einen Erwachsenen bitten, ihm zu helfen. Aber er sollte keine Männer ansprechen, die allein unterwegs waren, sondern auf jeden Fall eine Frau oder einen Mann und eine Frau, die zusammengehörten, am besten mit einem eigenen Kind. Man konnte nicht vorsichtig genug sein, hatte sein Vater gesagt. War es das, was Jonathan und Anna zugestoßen war? Hatten sie den Falschen angesprochen, jemanden, der ihnen nicht helfen wollte, nach Hause zurückzukommen, sondern sie mitgenommen und irgendwo versteckt hatte, wo niemand sie je finden würde? Aber warum sollte jemand so etwas tun?
    Als David sich auf dem Bett ausstreckte, fiel ihm ein, dass er die Antwort auf diese Frage kannte. Bevor seine Mutter in das Beinahe-Krankenhaus gekommen war, hatte er gehört, wie sie mit seinem Vater über den Tod eines Jungen aus dem Viertel gesprochen hatte, Billy Golding, der auf dem Heimweg von der Schule verschwunden war. Billy Golding ging nicht auf Davids Schule, und er war auch keiner von seinen Freunden, aber David kannte ihn vom Sehen, weil Billy ein sehr guter Fußballspieler war und am Samstagmorgen immer im Park spielte. Es hieß, ein Mann von Arsenal London hätte mit Mr. Golding darüber gesprochen, dass Billy in den Verein kommen sollte, wenn er älter war, aber jemand anders meinte, das sei gar nicht wahr, das hätte Billy sich nur ausgedacht. Dann verschwand Billy, und die Polizei kam an zwei Samstagen hintereinander in den Park und fragte alle Leute, ob sie etwas über ihn wussten. Sie sprachen auch mit David und seinem Vater, aber David konnte ihnen nicht helfen, und nach dem zweiten Samstag kam die Polizei nicht mehr in den Park.
    Dann, ein paar Tage später, hörte David in der Schule, dass Billy Golding unten bei den Eisenbahngleisen gefunden worden war, tot.
    Als er an dem Abend zu Bett ging, hörte er, wie seine Mutter und sein Vater im Schlafzimmer miteinander sprachen, und so erfuhr er, dass Billy nackt gewesen war, als sie ihn gefunden hatten, und dass die Polizei einen Mann verhaftet hatte, der mit seiner Mutter in einem ordentlichen kleinen Haus lebte, nicht weit von der Stelle, wo Billy gelegen hatte. An der Art, wie sie miteinander sprachen, erkannte David, dass etwas ganz Schlimmes mit Billy passiert war, bevor er gestorben war, etwas, das mit dem Mann aus dem ordentlichen kleinen Haus zu tun hatte.
    Seine Mutter kam an dem Abend extra in sein Zimmer, um ihm einen Gutenachtkuss zu geben. Sie umarmte ihn ganz fest und warnte ihn noch einmal davor, mit fremden Männern zu sprechen. Sie sagte, er solle nach der Schule immer direkt nach Hause kommen, und falls ein Fremder ihn ansprach und ihm Süßigkeiten anbot oder versprach, ihm eine zahme Taube zu schenken, wenn er mit ihm käme, solle David weitergehen, so schnell er konnte, und falls der Mann versuchte, ihm zu folgen, solle David zum nächstbesten Haus gehen und den Leuten dort sagen, was los sei. Was auch passierte, was immer der Fremde zu ihm sagte, er durfte auf gar keinen Fall mit ihm gehen. David versprach ihr, dass er das niemals tun würde. Eine Frage beschäftigte ihn, während er ihr das Versprechen gab, aber er behielt sie für sich. Sie sah schon besorgt genug aus, und David wollte sie nicht so sehr beunruhigen, dass sie ihn womöglich nicht einmal mehr zum Spielen aus dem Haus ließ. Doch die Frage ging ihm nicht aus dem Kopf, selbst nachdem sie das Licht gelöscht hatte und er allein in der Dunkelheit seines Zimmers lag. Sie lautete:
    Was ist, wenn er mich zwingt, mit ihm zu gehen?
    Jetzt lag er in einem anderen Zimmer, dachte an Jonathan Tulvey und Anna und fragte sich, ob ein Mann aus einem ordentlichen kleinen Haus, ein Mann, der bei seiner Mutter lebte und Süßigkeiten in der Tasche hatte, die beiden gezwungen hatte, mit ihm zu den Gleisen zu gehen.
    Und dort in der Dunkelheit mit ihnen gespielt hatte, auf seine Weise.
     
     
    Abends beim Essen sprach sein Vater wieder vom Krieg. David hatte nicht das Gefühl, dass wirklich Krieg herrschte. Die ganzen Kämpfe passierten irgendwo weit weg. Sie sahen nur ein paar Bilder davon in der Wochenschau, wenn sie ins Kino gingen. Das Ganze war viel langweiliger, als David gedacht hatte. Krieg klang aufregend, aber die Wirklichkeit war bisher alles andere als das. Gut, oft flogen ganze Staffeln von Spitfires und Hurricanes über das Haus, und über dem Ärmelkanal kam es immer wieder zu Luftgefechten, aber mit

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